Von Daniel Kanzler und Gerd Kommer
Bücher, Artikel, Blog-Beiträge und YouTube Videos mit Titeln wie „Die zehn größten Anlegerfehler“ oder die „Die 20 schlimmsten Investmentirrtümer“ gibt es im Überfluss. Vor der Abfassung dieses Blog-Beitrags fragten wir uns deshalb, ob wir zu diesem Publikationsberg tatsächlich noch eine weitere Veröffentlichung hinzufügen sollten.
Die Antwort: Ja, solche Anlegerfehler-Publikationen sind sehr zahlreich aber das von ihnen aufgegriffene Problem ist nun einmal allgegenwärtig und in der Tat für den Anlegererfolg oder -misserfolg enorm bedeutsam. Derjenige, der die gravierendsten Anlegerfehler nicht macht oder seltener macht, erhöht die Chance, sein persönliches Zielvermögen mit 30, 50 oder 70 Jahren zu erreichen oder zu übertreffen. Umgekehrt erhöht derjenige, der diese Fehler unnötig häufig macht, die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns an diesen Zielen.
Bevor wir gleich die aus unserer Sicht zehn besonders schweren “Anlegersünden“ präsentieren, sei noch angemerkt, dass diese Top-10 eine subjektive Auswahl darstellen. Genauso gut könnte man 50 oder 100 verbreitete Fehler auflisten und bliebe damit immer noch unvollständig. Insbesondere verzichten wir in diesem Beitrag auf die Erläuterung einiger ebenso wichtiger aber eben anderswo schon häufig thematisierten Fehler, wie z. B. das Tolerieren hoher Kosten oder den so genannten Home Bias.
Anlegerfehler 1: Die rentabelste aller Asset-Klassen nicht aktiv managen
Weder Aktien, noch Immobilien, noch Kryptowährungen, noch Gold ist die rentabelste aller Asset-Klassen, sondern Humankapital. Humankapital ist der „Barwert“ (Wert in heutigem Geld) aller zu einem bestimmten Zeitpunkt noch nicht vereinnahmten, zukünftigen Nettoeinkommen eines Haushaltes oder einer Person. Der Amerikaner Gary Becker erhielt für seine Forschungen zum Humankapitalkonzept 1992 den Wirtschaftsnobelpreis.
Das Humankapital eines 25-jährigen Hochschulabsolventen in Deutschland beträgt rund zwei Millionen Euro in heutigem Geld, wenn er bis 65 arbeitet, ein durchschnittlich vermarktbares Studienfach gewählt und eine in dieser Kategorie normale Erwerbsbiographie hat. Arbeitet er fünf Jahre länger, steigt sein HK um in heutigem Geld ausgedrückt um rund 350.000 Euro und sinkt um etwa diesen Betrag, wenn er fünf Jahre früher in Rente geht.
Wie kann man sein HK managen und erhöhen? Indem man sich ein im Markt attraktives „Skill Set“ (vulgo Ausbildung) aneignet, indem man dieses Skill Set sein Leben lang weiterentwickelt (sich lebenslang weiter- und fortbildet), indem man versucht, beruflich erfolgreich zu sein, indem man gesund lebt (Ernährung, Sport, wenig Alkohol, kein Rauchen, keine sonstigen Drogen) und natürlich, indem man den Anteil seines Lebens, den man als Couch Potato im Internet oder vor der Flimmerkiste verschwendet in Grenzen hält.
Anlegerfehler 2: Interessenkonflikte nicht abstellen
„Interessenkonflikte nicht abstellen“ klingt nicht gerade nach spektakulärem Geldirrtum, durch dessen Korrektur man ab dem Folgemonat im großen Stil seine Rendite nach oben pushen oder sein Risiko deutlich senken wird. Dennoch sind wir davon überzeugt, dass das Abstellen vorhandener oder das Vermeiden neuer Interessenkonflikte auf lange Sicht direkt und indirekt mehr Unterschied für den Erfolg bei Vermögensaufbau und Risikominderung macht als jeder andere denkbare Anlegerfehler mit Ausnahme vielleicht des oben aufgezeigten Fehlers Nr. 1.
Interessenkonflikte sind in den deutschsprachigen Ländern bei 99% aller Banken und bei 98% aller „bankunabhängigen“ Vermögensberater und Vermögensverwalter nahezu garantiert. Sie entstehen daraus, dass der Dienstleister hauseigene Produkte verkauft oder vermittelt, dass er Provisionen und Kommissionen von Fremdproduktanbietern vereinnahmt (um eine niedrigere direkte, also ehrliche Beratungs- oder Servicegebühr vom Kunden nehmen zu müssen), dass er Performance-abhängige Gebühren nimmt und dass insgesamt seine Vergütung nicht vollständig unabhängig ist von der Art des Investierens – also unabhängig davon, ob konservativ oder „ambitioniert“, ob mit viel Trading oder wenig, ob mit Produkt A oder B.
Man kann die Pest der Interessenkonflikte auf zwei Arten kurieren: Entweder indem man seine Investments komplett selber organisiert oder indem man einen Dienstleister engagiert, dessen Bezahlung zu 100% in Cash durch einen selbst erfolgt, so wie man einen Steuerberater, Rechtsanwalt oder Handwerker bezahlt.
Anlegerfehler 3: Zu viel „Investmentpornographie“ konsumieren
Investment- und Finanzpornographie ist ein sehr großer Teil, vielleicht sogar die Majorität dessen, was in den Medien und von Finanzunternehmen zum Thema Investieren, Vermögensbildung und Altersvorsorge publiziert wird. Insbesondere zählen dazu Aussagen und implizite Versprechen mit wenig oder mit begrenztem Risiko „reich“ zu werden.
Eine milde Form von Investment-Pornographie ist beispielsweise ein Ratgeberbuchtitel wie „Reich werden an der Börse“ (Thilo Hasler), eine mittlere Form von Investment-Porn ist das Cover einer Anlegerzeitschrift, auf dem in fetten, schreienden Buchstaben steht „Killer-Aktien!“ (Der Aktionär 05/2015), eine heftige Form von Investment-Porn ist ein Artikel in der Online-Ausgabe einer großen deutschen Tageszeitung mit der Überschrift „Mit diesen 10 Aktien können Sie nur gewinnen“ (Die Welt Online, 16.11.2019) oder das Ratgeberbuch „Reicher als die Geissens – Mit null Euro Startkapital in fünf Jahren zum Immobilienmillionär“ (Alex Fischer). Die in Deutschland sehr verbreitete Spezies der „Untergangspropheten“, die für die nahe Zukunft einen apokalyptischen Crash bei Banken, Aktien, Anleihen und Immobilien kommen sieht, gehört in die Hard Core-Kategorie des P-Themas.
Finanzpornographie appelliert an einige der schlechtesten Gefühle und Eigenschaften im Homo Sapiens: Gier, FOMO (Fear of Missing Out), Neid, Gutgläubigkeit, Selbstüberschätzung, Faulheit und Angst (in schlechten Börsenphasen).
Wer als Privatanleger zu viel schlüpfrige Finanzpornographie konsumiert, schädigt mit einiger Wahrscheinlichkeit seine langfristige Finanzgesundheit und schädigt noch wahrscheinlicher seinen Peace of Mind, altdeutsch Seelenfrieden. Ein solcher Anleger wird öfter als nötig in falsche, d. h. zu teure oder zu risikoreiche Finanzprodukte investieren, er wird zu lange an der Seitenlinie warten (siehe Fehler Nr. 6 weiter unten) und er wird öfter als nötig zu ungünstigen Zeitpunkten kaufen oder verkaufen.
Anlegerfehler 4: Auf den Medien-Nonsens der „Everything Bubble“ hereinfallen
Googelt man „Everything Bubble“ (die „Alles-Blase“) produziert die Suchmaschine fast 500.000 Treffer. Angeblich haben wir heute eine Alles-Blase, also außerordentlich hohe Bewertungen in allen Asset-Klassen, „in everything“.
Deswegen – so die „Experten“ und Untergangspropheten im Internet, in den Medien und in der Finanzbranche – müsse man aktuell „sehr vorsichtig sein“, sollte man „eher abwarten“, „brauche Expertenrat“ und müsse „Absicherungsstrategien“ nutzen.
Dumm nur, dass die Everything Bubble Humbug ist. Von den drei wichtigsten Haupt-Asset-Klassen – Aktien, Wohnimmobilien und Anleihen (Zinsmarkt) – sind nur Anleihen heute tatsächlich zweifelsfrei sehr hoch bewertet.
Gewerbeimmobilien sind ein unklarer Fall. Bei Gold, Rohstoffen und Sammlerobjekten – den verbleibenden drei Haupt-Asset-Klassen (alle drei vom Volumen her eher unbedeutend) – kann kein Mensch irgendwie verlässlich sagen, was ein angemessenes Bewertungsniveau ist.
Für Wohnimmobilien trifft die Hochbewertungsaussage lediglich auf die großen Städte der DACH-Länder zu, überwiegend jedoch nicht auf Objekte auf dem flachen Land und außerhalb der DACH-Region auch generell auf viele Staaten nicht.
Das aktuelle Aktienmarkt-Bewertungsniveau (Ende September 2023), gemessen am KGV (Kurs-Gewinn-Verhältnis), liegt global (MSCI ACWI IMI Index) nur sehr geringfügig über dem langfristigen historischen Durchschnitt. Eine ganz moderate Höherbewertung, die einen rationalen Anleger vom Einstieg in den Aktienmarkt abhält und ganz gewiss kein Blasenterritorium. Die in die Zukunft gerichtete erwartete Rendite von Aktien liegt auch bei diesem Bewertungsniveau noch weit oberhalb der von Immobilien oder Anleihen.
Von einer Everything Bubble zu sprechen, zeugt also von Unwissen oder dem Ziel mit Investmentpornographie Click-Raten und Auflage zu erhöhen.
Anlegerfehler 5: In die „Dieses-Mal-ist-alles-anders-Falle“ tappen
„Dieses Mal ist alles anders“ gehört zweifellos zu den Top-Fünf unter den dümmsten Börsenweisheiten aller Zeiten. Vermutlich hat es keinen einzigen Monat in den letzten 70 Jahren gegeben, in dem diese „Erkenntnis“ nicht ein Dutzend Anlageexperten und Untergangspropheten in den Medien oder der Finanzbranche wiederholten. Schon das allein widerlegt sie als Unsinn.
Das Wording von dieses-Mal-ist-alles-anders variiert von Benutzer zu Benutzer und von Situation zu Situation ein wenig: „Diese Krise unterscheidet sich von allen früheren“ oder „die alten Rezepte funktionieren nicht mehr“ oder „dieses Mal wirken die großen Einflussfaktoren doch offensichtlich anders“ oder „die Digitalisierung ist ein fundamentaler Strukturbruch“ oder „Corona ändert alles“. Die Kernaussage ist aber immer der gleiche populistische Stammtisch-Nonsens und Bauchgefühl-VWL.
Tatsache ist: Erstens lässt sich mit auch nur mäßiger Gewissheit erst zehn bis 20 Jahre später beurteilen, ob ein historisches Ereignis tatsächlich in einer irgendwie relevanten Weise ein „Game Changer“ war, also tatsächlich in die „dieses Mal ist alles anders“-Kategorie fällt.
Zweitens hat es in den letzten 120 Jahren weit schwerere Aktienmarktkrisen als die aktuellen gegeben, aber jedes Mal hat ein international gut diversifizierter Anleger auf Buy-and-Hold-Basis diese Krisen überstanden und schon wenige Jahre später mit den Märkten wieder ein neues „Allzeithoch“ in seinem Depot erreicht. Es gibt keinen überzeugenden Grund am Fortbestand dieser immer gleichen Gesetzmäßigkeit in Zukunft zu zweifeln.
Drittens wird ein Buy-and-Hold-Anleger mit global diversifizierten Aktien statistisch sein Vermögen inflationsbereinigt alle ca. 13 Jahre verdoppeln – nominal noch schneller. Das war historisch so und war mit keiner anderen Asset-Klasse in dieser Form möglich. Warum sollte sich am Renditevorsprung von Aktien gegenüber allen anderen Asset-Klassen in Zukunft etwas ändern?
Viertens sind Wertpapierkurse (und wohl auch Immobilienpreise) nicht kurz- und mittelfristig zuverlässig genug prognostizierbar, als dass man mit diesen Prognosen nach Kosten und Steuern mehr als mit einer einfachen Buy-and-Hold-Strategie Geld verdienen könnte. Sehr leicht jedoch weniger. Diese Feststellung gilt, wenn die Kurse in den letzten 12 Monaten um 40% gefallen sind und sie gilt, wenn sie in den letzten 60 Monaten um 200% gestiegen sind.
Anlegerfehler 6: An der Seitenlinie stehen und abwarten
Über 70% des liquiden Vermögens deutscher Privathaushalte liegt auf Bankkonten und in kapitalbildenden Lebensversicherungen. Das sind zwei Finanzprodukte, die die Seitenlinienexperten lieben, mit denen man aber schon in der Vergangenheit nach Inflation, Steuern und Kosten nur geringfügig über null verdiente. Heute und wohl auch in den nächsten Jahren wird es noch weniger als null sein.
Dass man als normaler Privatanleger nur mit Sparen und Investieren in Aktien oder Immobilien sein Geld nach Inflation, Steuern und Kosten nachhaltig vermehren kann – mit anderen Worten echte Vermögensbildung betreiben kann – ist seit Jahrzehnten bekannt. Trotzdem halten nur etwa 15% der Deutschen Aktien und in der unteren Einkommenshälfte sind es vermutlich unter 5% aller Haushalte. Weniger als 50% der deutschen Haushalte besitzen Immobilien.
Die niedrige Immobilien-Kennzahl lässt sich eventuell noch dadurch erklären, dass ein großer Teil der Bevölkerung nicht das Eigenkapital oder das gesicherte, regelmäßige Einkommen hat, das man für den kreditfinanzierten Immobilienerwerb benötigt (obwohl andere westliche Länder mit geringeren Haushaltseinkommen höhere Immobilienquoten aufweisen).
Bei Aktien ist das 85%-Defizit aber nur mit Unwissen und Irrationalität erklärbar, denn schon mit 50 Euro im Monat kann man einfach, bequem und nahezu kostenlos in einen breit diversifizierten Aktien-ETF investieren.
Klar ist, wer heute zögert, entweder in Immobilien oder in Aktien zu investieren und „erst einmal“ abwartet, der wird sehr wahrscheinlich auch nächstes Jahr noch an der Seitenlinie stehen. Dabei macht es auch keinen Unterschied, ob man zu denjenigen gehört, die grundsätzlich nicht in das „Aktienmarkt-Casino“ investieren wollen oder zu jenen, die angeblich investieren wollen, aber „im Moment lieber erst einmal warten“. Das Ergebnis ist – so viel Ehrlichkeit muss sein – für beide Gruppen meist das gleiche: Sie werden nicht an den Renditen teilhaben, welche die klar rentabelste aller Asset-Klassen – Aktien – in den letzten 200 Jahren produziert hat und in den nächsten 200 Jahren produzieren wird.
Anlegerfehler 7: Risiko, das man nicht sieht oder nur schwer messen kann mit niedrigem Risiko verwechseln
Man kann Finanzprodukte und Asset-Klassen in „risikoehrliche“ und „risikounehrliche“ Produkte aufteilen. Risikoehrliche Investments zeigen ihr ganzes Risiko vollständig offen erkennbar, kontinuierlich und ohne Zeitverzögerung. Risikounehrliche Investments zeigen ihr Risiko entweder nicht offen oder nicht kontinuierlich oder nur mit Zeitverzögerung.
Börsennotierte Wertpapiere sind die risikoehrlichsten Investments.
Direktanlagen in Immobilien, offene Immobilienfonds und Private Equity-Anlagen kann man als „mittelmäßig risikounehrlich“ einschätzen. Beispielsweise sind die beträchtlichen Wertschwankungen von Immobilien nicht laufend beobachtbar und erscheinen den meisten Privathaushalten deswegen als moderat. Wie hoch diese Schwankungen in Wirklichkeit jedoch sind, illustriert ein Blick auf die Börsenkurse von Immobilienunternehmen.
Bankguthaben, Kapitallebensversicherungen, P2P-Kredite, Zertifikate und geschlossene Fonds-Beteiligungen sind maximal risikounehrlich. Der größte Teil der Risiken, die sie enthalten, ist für normale Privatanleger unsichtbar. Beispiel Bankguthaben: Es hat Null-Volatilität (keine Wert- oder Renditeschwankung) und erscheint vielen dementsprechend als sehr sicher. So wird dieses Finanzprodukt auch von Banken vermarket. In Wirklichkeit ist in einem Bankguthaben oberhalb der gesetzlichen Einlagensicherung von 100.000 Euro pro Bank-Kunde-Kombination ein beträchtliches Ausfallsrisiko mit bis zu 100% Verlustpotential versteckt. Die anderen in diesem Absatz genannten Produkte enthalten substanzielle Gegenparteirisiken oder „schräge“ interne Bewertungsverfahren, die nach Außen eine nicht vorhandene Stabilität vorgaukeln oder beides.
Dass ein Risiko nicht offen und leicht sichtbar ist, heißt nicht, dass es nicht existiert.
Anlegerfehler 8: Auf den Recency Bias und den Small Sample Bias hereinfallen
Zwei der aus unserer Sicht perfidesten Anlegerfehler, die von der wirtschaftswissenschaftlichen Behavioral Finance-Forschung aufgedeckt wurden, sind der Recency Bias und der Small Sample Bias. Die beiden Denkfehler sind verwandt. Der Small Sample Bias ist eine verallgemeinerte Form des Recency Bias.
Recency Bias steht für „Neigung, die jüngere Vergangenheit überzubewerten“, Small Sample Bias für „Neigung von kleinen oder unnötig kleinen Stichproben auf die Gesamtheit zu schließen“. Worum geht’s?
Privatanleger orientieren sich bei ihren Anlageentscheidungen stark an Vergangenheitsrenditen. Das ist für sich genommen nicht irrational und auch nicht grundsätzlich falsch. Falsch ist aber fast immer, dabei jüngere historische Renditen wichtiger zu nehmen als ältere historische Renditen. Konkreter ausgedrückt: Die Rendite eines MSCI World-ETF in den letzten 36 Monaten ist für die Zukunft – und um diese geht es ja bei Anlageentscheidungen – grundsätzlich nicht ein Jota wichtiger oder aussagekräftiger als die 36 Monate von 2005 bis 2007. Trotzdem sind Privatanleger regelrecht besessen von den kurz zurückliegenden Renditen und fällen primär auf der Basis dieser aktuellen Kurzfristdaten Anlageentscheidungen.
Wie kann man diesen gefährlichen Fehler vermeiden? Ganz einfach: Indem man seine Investmententscheidungen nur auf der Grundlage sehr langer Datenreihen trifft. Bei Aktien mindestens 25 Jahre und idealerweise die jeweils längste verfügbare Datenreihe. Beim MSCI World-Index wäre das seit 1970, also über 50 Jahre; bei jedem aktiv gemanagten Fonds, zumindest die Zeit seit seiner ursprünglichen Auflage.
Der Small Sample Bias ist gewissermaßen eine verallgemeinerte Form des Recency Bias. Wenn mir 50 Jahre Daten zur Verfügung stehen, warum schieße ich mir dann ins eigene Bein, indem ich eine Geldentscheidung auf der Basis einer mickrigen Stichprobe von drei Jahren treffe?
Anlegerfehler 9: Den Markt schlagen wollen oder glauben, die Experten könnten das
Seit den 1960er Jahren hat eine gigantische Flutwelle wissenschaftlicher Publikationen gezeigt, dass in einem gegebenen Zeitfenster (z. B. zwölf Monate oder 20 Jahre) nur eine Minderheit der aktiv investierenden Amateur- und Profi-Anleger den Markt oder eine angemessene passive ETF-Benchmark schlägt.
Bei Zeiträumen ab rund fünf Jahren beläuft sich der Anteil der Loser-Anleger bei Aktien je nach Studie auf bis zu 90%, bei Anleihen sogar eher noch mehr.
In Bezug auf die Minderheit der Gewinner existiert keine „Performance-Konstanz“. Die historischen Gewinner sind sehr wahrscheinlich das Produkt von Zufall. Daher werden diejenigen, die auf diese vergangenen Gewinner setzen in der Zukunft wiederum mehrheitlich als Verlierer enden.
Ergo ist eine passive Strategie auf Buy-and-Hold-Basis diejenige Strategie mit der wahrscheinlichkeitsgewichteten höchsten Rendite.
Dabei ist der „eingebaute“ Steuervorteil von Buy-and-Hold noch nicht einmal berücksichtigt (der steuerliche Barwertvorteil aus der langfristigen Verschiebung der Realisierung von Kursgewinnen in die Zukunft).
Anlegerfehler 10: Bei Anlageentscheidungen auf volkswirtschaftliche und wirtschaftspolitische Daten und Meinungen abstellen
Volkswirtschaftliche Zusammenhänge (z. B. über Staatsverschuldung oder Wirtschaftswachstum eines Landes oder einer Region) und wirtschaftspolitische Entwicklungen oder Prognosen haben auf kurze und mittlere Frist (bis ca. zehn Jahre) keinerlei systematischen Zusammenhang mit den Renditen von Aktien, Anleihen und Immobilien – jedenfalls keinen, den Anleger verlässlich zu ihrem Vorteil ausbeuten könnten. An dieser Stelle aus Platzgründen nur ein einzelnes Beispiel (viele weitere Beispiele nennen wir in diesem Blog-Beitrag). Von Januar 1988 bis September 2023 (kanpp 36 Jahre – längste verfügbare Datenreihe) outperformte der Aktienmarkt des besonders chaotisch regierten Landes Argentinien den Aktienmarkt der USA deutlich und noch deutlicher den von Deutschland (in USD oder Euro gerechnet). Dies geschah, obwohl Argentinien in diesen dreieinhalb Jahrzehnten mehrere Staatskonkurse (Schuldenschnitte auf Staatsanleihen) und lange Phasen von galoppierender oder sogar Hyperinflation erlitt.
Generell gilt: Wer Anlageentscheidungen auf volkswirtschaftliche Größen und ihre historische oder prognostizierte Entwicklung abstellt, wird dadurch mit beträchtlicher Wahrscheinlichkeit eine Unterrendite gegenüber einem „agnostischen“ breit diversifizierten Buy-and-Hold-Anleger produzieren.
Fazit
Erfolgreich investieren und nachhaltige Vermögensbildung ist zunächst einmal eine Frage von Fehlervermeidung. Wer nicht selbstkritisch, demütig und ehrlich bei seiner höchsteigenen Fehlervermeidung anfängt, der hat von vornherein nur schlechte Chancen, sein Geld aus eigener Kraft auf lange Sicht zu vermehren.