Die absurde Dämonisierung von ETFs

Von Dr. Gerd Kommer  

(Dieser Beitrag vom August 2017 wurde im Januar 2024 aktualisiert.)

Seit etwa 2015 ist in den Medien immer häufiger zu lesen, der Marktanteil von Indexfonds und ETFs sei „inzwischen gefährlich hoch“ oder könne, wenn er weiterwachse, zu einem „systemischen Risiko“ führen. Neben der Behauptung eines gefährlich hohen Marktanteils werden noch eine Reihe anderer Anti-ETF-Argumente angeführt. Die drei nachfolgenden Zitate bringen solche Kritik beispielhaft zum Ausdruck:

„ETFs bergen enorme Gefahren und sind in vielen Fällen sogar eine Mogelpackung“ (Rainer Laborenz, Geschäftsführer der Azemos Vermögensmanagement GmbH, Offenburg, in einem Artikel auf dem Finanzportal Fondsprofessionell am 28.7.2017).

„Indexing ist eine massive Bedrohung für die Stabilität des Finanzsystems“ (Saker Nusseibeh, Vorstandsvorsitzender der britischen Fondsgesellschaft Hermes Investment Management in der Financial Times vom 26.9.2016)

„Der stille Weg in die Knechtschaft: Warum passives Investieren schlimmer ist als Marxismus“ (Titel eines Research-Memos zu Indexfonds der amerikanischen Stock Broker-Firma Sanford Bernstein im August 2016)

In diesem Blog-Beitrag gehe ich auf die 19 häufigsten Anti-ETF-Argumente ein. Bevor ich das tue, will ich noch kurz erläutern, woraus sich die Kritik an ETFs speist.

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Der größte Teil der Kritik an ETFs kommt von Vertretern der traditionellen Finanzbranche. Deren Gebühreneinnahmen werden durch die zunehmende Verbreitung preisgünstiger ETFs und klassischer Indexfonds bedroht. Weil das so ist, werden ETFs von Bank-„Beratern“ bis zum heutigen Tag in ihren Beratungsgesprächen oft regelrecht totgeschwiegen oder – wenn das nicht geht – mit teilweise haarsträubenden Argumenten wie sie in den Eingangszitaten zum Ausdruck kommen schlecht geredet. Alle diese Argumente behandele ich in diesem Blog-Beitrag.

ETFs sind auch für die traditionellen Medien, für Finanzportale im Internet und für Finanzblogger suboptimal, weil man über ETFs auf lange Sicht viel weniger schreiben und publizieren kann als über traditionelle, also komplexe und hochpreisige Finanzprodukte, die sich wegen angeblich immer neuer Rahmenbedingungen an den Finanzmärkten ständig verändern. Um diese Komplexität und diesen wilden Wandel herum kann man als Medienmensch wunderbar „spannende“ Stories verfassen, die sich alle drei Monate neu und etwas anders wieder erzählen lassen. So werden Auflage und Klicks und damit Werbeeinkommen erzeugt. Ein Beispiel sind Stories über sagenhaft erfolgreiche oder sagenhaft unerfolgreiche Investmentfondsmanager. Für diese Art von nutzlosem „Infotainment“ und schädlicher „Finanzpornographie“ eignen sich ETFs gar nicht oder nur in geringem Maße. Was sich für das eigene Medium nicht eignet, das wird gerne kritisiert.

Außerdem erscheinen viele Aspekte von passivem Investieren mit ETFs Privatanlegern kontraintuitiv, widersprechen also der Intuition oder dem gesunden Menschenverstand. Kritik an ETFs, auch falsche Kritik, fällt angesichts dessen bei vielen Privatanlegern auf fruchtbaren Boden.

So viel zum Kontext der ETF-Kritik. Hier nun die häufigsten Anti-ETF- und Anti-Indexing-Argumente in aller Kürze – jeweils mit einer Einschätzung meinerseits.

Argument 1: Der Marktanteil von Indexing ist mit über 25% schon gefährlich hoch und er steigt offenbar weiter. Die Fakten: Der globale Marktanteil von passivem Investieren – darum geht es hier letztlich – beträgt nicht 25%, sondern bewegt sich aktuell wohl eher bei 2% bis 5%. Die falschen Zahlen resultieren aus konzeptionellen Fehlern und – damit zusammenhängend – der Nutzung falscher Datengrundlagen. In einem Blog-Beitrag von Januar 2022 leiten wir diese Zahlen her.

► Argument 2: Wenn alle passiv investieren, wird es nicht mehr funktionieren. Deshalb ist passiv investieren fragwürdig. Die Fakten: Ja, die Vorteile von passiv Investieren setzen in der Tat voraus, dass nicht alle Marktteilnehmer passiv anlegen. Genau dasselbe gilt allerdings für jede der unendlich zahlreichen aktiven Anlagestrategien, die weltweit existieren. Und bei diesen hat ja auch niemand Angst, dass die Strategien durch zu große Nachahmung unwirksam gemacht werden könnten. Aber ganz abgesehen von diesem simplen, praxisorientierten Argument, wiegt ein anderes noch schwerwiegender: Die allermeisten Aktivitäten von Menschen – mit der Ausnahme von Atmen und rein geistigen Aktivitäten wie denken – funktionieren überhaupt nicht oder jedenfalls sehr viel schlechter, wenn alle Menschen diese Aktivitäten gleichzeitig ausüben. Das ist entsetzlich banal und niemand hatte in den letzten dreitausend Jahren ein Problem damit. Prüfen Sie mein Argument dennoch für einige Sekunden: Stellen Sie sich für einen einen Moment eine beliebige, nicht rein geistige Tätigkeit, vor, die Sie an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit ausüben. Dann fragen Sie sich, was passieren würden, wenn alle Menschen in Ihrer Stadt, in Ihrer Region, in ihrem Staat oder auf dieser Erde das Gleiche tun würden. Fragen Sie sich dann, warum das bisher nie geschehen ist und auch nie geschehen wird. Das Argument „es funktioniert nur, wenn es nicht alle machen“ ist also doppelt absurd. Empirisch tritt die Konstellation nicht auf und theoretisch trifft es auf fast alles, was Menschen tun können zu. Warum dieser schräge Sachverhalt trotzdem laufend thematisiert wird, darüber könnte ein BWL-Student eine lohnenswerte Diplomarbeit schreiben. Doch wie dem auch sei: Wenn der korrekt berechnete globale Marktanteil von passivem Investieren von derzeit wohl rund 2% bis 5% auf über 80% gestiegen ist, dann kann sich jeder passive Anleger auf der Basis der dann vorliegenden Fakten immer noch überlegen, ob er von diesem Punkt an ins aktive Lager wechselt. Wir nehmen an, dass dieser Punkt in den nächsten 25 Jahren und wohl auch in den nächsten 100 Jahren nicht erreicht werden wird.

► Argument 3: Die zunehmende Verbreitung von passiv investieren und Indexing hat zur Konzentration im amerikanischen oder globalen Aktienmarkt beigetragen. Einige wenige Mega-Large-Cap-Firmen (z. B. die zehn größten Einzelwerte wie Apple und Microsoft) nehmen ein immer größeres Gewicht im Gesamtmarkt ein und dominieren den Aktienmarkt. Das ist ungesund und gefährlich. Die Fakten: Diese oft gehörte Behauptung ist Unsinn. Die Konzentration im US-Aktienmarkt (und wahrscheinlich auch in anderen nationalen Aktienmärkten) war zu verschiedenen Zeitpunkten in den 1950er Jahren, den 1960er Jahren, den 1970er Jahren – also lange vor der Erfindung und Verbreitung von Indexfonds – höher als heute. Das amerikanische Telekommunikationsunternehmen AT&T besaß im Jahr 1960 ein Gewicht von 13% im amerikanischen S&P 500 Index, Apple in 2023 dagegen nur 6 bis 7% (das war der Maximalwert einer Einzelaktie in den zurückliegenden gut 25 Jahren für den S&P 500). Die Nonsens-These von der „nie dagewesenen Konzentration“ oder „Kopflastigkeit“ in den Aktienmärkten, die angeblich von Indexing ausgelöst wurde, basiert auf letztlich manipulativem Ausblenden historischer Daten und Sachverhalte, die länger als ungefähr 20 Jahre in der Vergangenheit liegen.

► Argument 4: Passive Anleger sind Trittbrettfahrer der aktiven Anleger. Die Fakten: Ja, das sind sie, genauso wie die Käufer von Gebrauchtwagen Trittbrettfahrer des Neuwagenmarkts sind. Es existieren Tausende von Märkten, auf die das bizarre Trittbrettfahrerargument anwendbar wäre. So betrachet sind die Mehrzahl aller Märkte und damit Marktteilnehmer Trittbrettfahrer eines anderen Marktes oder anderer Marktteilnehmer. Gemäß dieser Logik ist eBay ein einziger Trittbrettfahrermarkt, der gesamte Arbeitsmarkt ein Trittbrettfahrer des staatlichen Schulwesens und der thailändische Touristikmarkt ein Trittbrettfahrer des Verkehrsflugzeugmarkts.

► Argument 5: Aktiv gemanagte Fonds können im Crash das Geld sicher anlegen und Verluste dämpfen, ein ETF muss dem Index hilflos nach unten folgen. Die Fakten: Ja, aktive gemanagte Fonds können hierauf reagieren und ihre Strategie anpassen, was ein Indexfonds nicht kann. Im Ergebnis ist die Performance aktiv gemangter Fonds selbst in Krisenphasen dennoch schlechter. Passives Investieren produziert langfristig statistisch höhere Renditen als aktives Investieren, und das schließt die Abwärtsbewegungen des Marktes ausdrücklich mit ein. An dieser Stelle nur ein einziges Zahlen-Faktoid: Das Jahr 2008 war in den USA das schlechteste Aktienjahr nach 1932. Der S&P 500-Index (und damit auch ein S&P 500-ETF) verlor in diesen 12 Monaten 37% (in USD), der durchschnittliche Aktienfonds knapp 39%.

► Argument 6: Indexing beeinträchtigt das angemessene Funktionieren der Kapitalallokationsfunktion der Finanzmärkte. Wenn es zu viel Indexing gibt, kommt diese volkswirtschaftlich essenzielle Funktion zum Erliegen. Die Fakten: Das Traden (Handeln) von Aktien und Anleihen zwischen Börsenteilnehmern ist für die Emittenten von Aktien und Anleihen (Unternehmen und Staaten) Cash-Flow- und Gewinn-neutral – beeinflusst also beides nicht. Die Bedeutung der Kapitalallokationsfunktion der Finanzmärkte wird deswegen weit überschätzt. Tatsächlich ist es die Realwirtschaft, die Unternehmen durch den Kauf von Produkten Kapital zuführt und durch Nicht-Kauf (indirekt) entzieht, sprich, Konsumenten und die Einkäufer in Unternehmen sind für eine effiziente Kapitalallokation verantwortlich. Es ist die Realwirtschaft, nicht Fondsmanager, die Apple Inc. zum wertvollsten Unternehmen der Welt gemacht hat und Nokia, den früheren Marktführer bei Mobiltelefonen, ins wirtschaftliche Nirwana trieb. Überdies werden ETFs überwiegend von aktiven Anlegern im Rahmen von Market Timing genutzt, um ihr Kapital in die Asset-Klassen zu lenken, die vermeintlich kurz- und mittelfristig die besten Ertragsaussichten haben. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die Informationseffizienz der Kapitalmärkte durch ETFs in den vergangenen Jahren sehr wahrscheinlich nicht reduziert wurde.

► Argument 7: Indexfonds/ETFs tragen zur Erhöhung des Risikos an den Kapitalmärkten bei. Die Fakten: Mit Zahlen lässt sich dieses Argument jedenfalls nicht belegen. In den zehn Jahren ab 2009 (seit sich das Marktanteilswachstum von Indexfonds deutlich beschleunigt hat) bis Ende 2021 sank das messbare Risiko in Gestalt der Volatilität an den globalen Kapitalmärkten (Aktien und Anleihen) in der Tendenz und war im sehr langfristigen historischen Vergleich unterdurchschnittlich. Die deutliche Erhöhung dieser Volatilität ab Anfang 2022 war – darüber dürfte kein Zweifel bestehen – auf den Russland-Ukraine-Krieg zurückzuführen, nicht auf den ganz langsam steigenden, weltweit ohnehin noch moderaten Marktanteil von passivem Investieren.

► Argument 8: Indexfonds/ETFs haben die ➝ Korrelationen zwischen einzelnen Aktien erhöht und den Nutzen von Diversifikation gesenkt. Die Fakten: Die Wissenschaft ist sich uneins über dieses sehr schwer eindeutig zu überprüfende Argument. Ein großer Teil der in den letzten 20 Jahren beobachteten Erhöhung dieser Korrelationen geht wohl auf andere Ursachen zurück als auf Indexfonds/ETFs, sprich auf ganz allgemeine Entwicklungen wie die wachsende Integration der globalen Kapitalmärkte (Globalisierung).

► Argument 9: „Es gibt eine Blase bei Indizes und ETFs“. Diese Formulierung ist ein wörtliches Zitat, das ich aus einem Diskussionsforum eines Finanzportals entnommen habe. Obwohl die Aussage letztlich logik- und faktenfrei ist, führe ich sie an, weil man ihr immer wieder begegnet. In Bezug auf den darin enthaltenen Begriff „Indizes“ könnte man diese Aussage vergleichen mit dem sinnfreien Statement: „Es gibt eine gefährliche Blase bei Schuhkartons.“ ETFs sind einfach nur eine schlanke, dünne Hülle oder Verpackung für den Inhalt, auf den es eigentlich ankommt: Aktien oder Anleihen. Warum soll es bei einer Hülle eine Bewertungsblase geben? Die Hülle ist ein bloßes Anhängsel des Inhalts und dieser ist ausschlaggebend. ETFs erschaffen keine neuen Aktien oder Anleihen, verändern sie auch nicht, sondern sind ganz banal ein simpler, transparenter „Behälter“ für diese Wertpapiere. Wenn man von Überbewertung sprechen möchte, dann kann sich diese sachlogisch korrekt nur auf den Inhalt, also Aktien oder Anleihen beziehen, nicht auf die dünne Hülle drum herum. So wie beim Schuhkarton: Der Karton erschafft keine Schuhe und verändert sie auch nicht und hat einen mikroskopischen Anteil am Preis der Schuhe. Schuhkartons werden produziert und gekauft, weil sie Schuhe enthalten, nicht um ihrer selbst willen. Gäbe es keine Kartons, würde man für Schuhkäufe ein anderes Behältnis verwenden, z. B. Tüten oder sie ohne Behältnis verkaufen. All das gilt in fast identischer Weise auch für ETFs als Behältnis für Aktien und Anleihen.

► Argument 10: Die drei größten Indexfondsanbieter – BlackRock, Vanguard und State Street – halten bei einzelnen Unternehmen bis zu 25% der Aktienstimmrechte. Das ist gefährlich viel Marktmacht. Die Fakten: Hier werden willkürlich die Beteiligungsquoten rechtlich und wirtschaftlich getrennter, miteinander scharf konkurrierender Wettbewerber aufaddiert. Die aufsummierte Zahl als entscheidende Größe für kartellrechtliche Einwände zu betrachten, ist absurd, genauso absurd wie die Marktanteile von Volkswagen, Toyota und Tesla aufzuaddieren und diese addierte Summe als monopolistische Gefahr am Automobilmarkt zu bezeichnen.

► Argument 11: Ein Zusammenbruch der genannten drei größten Indexfondsanbieter würde die globale Finanzarchitektur in Gefahr bringen. Die Fakten: Hinter diesem Argument steckt die Unkenntnis des fundamentalen Unterschieds zwischen Großbanken, deren Zusammenbruch tatsächlich Systemrelevanz haben kann, und dem ganz anderen Geschäftsmodell von Fondsgesellschaften. Selbst ein 90-prozentiger Börsen-Crash würde das Vermögen der Fondsgesellschaften nicht schädigen, weil diese Verluste gar nicht ihr eigenes Vermögen, sondern das der Anleger beträfen. Lediglich die Einnahmen der Fondsgesellschaften aus Aktienfonds würden schrumpfen (deutlich weniger die aus Anleihenfonds). Das beispielsweise von BlackRock verwaltete Vermögen in ishares-ETFs (BlackRock-ETFs) steht selbstverständlich nicht in der Bilanz von BlackRock, weil es BlackRock ja gar nicht gehört.

► Argument 12: In einer Megakrise oder schweren Systemkrise sind Investments in Einzelwertpapiere technisch sicherer als Investments in ETFs. Ein Direktanleger in Einzelwertpapieren würde schneller und sicherer an sein Eigentum gelangen als bei das bei ETFs (verpackten Investments) der Fall wäre. Die Fakten: (a) Generell ist dieses Anti-ETF-Argument eine rein theoretische Spekulation ohne Beleg durch empirisch-historische Daten. Nehmen wir einmal an, mit „Megakrise“ oder „schwerer Systemkrise“ seien Ereignisse wie ein Dritter Weltkrieg, ein großer Krieg in Westeuropa, ein größerer Bürgerkrieg auf westeuropäischem oder nordamerikanischem Territorium oder ein chaotischer Zusammenbruch der Eurozone gemeint. Da es derartige Krisen in der für diese Frage relevanten Vergangenheit nicht gab, kann man aus der Historie nur sehr eingeschränkt Hinweise ableiten. Dennoch hilft ein Blick in die Geschichte. Das Finanzprodukt „Investmentfonds“ (Publikumsfonds) existiert in den USA seit über 90 Jahren und in Europa seit gut 60 Jahren. Investmentfonds haben in diesen neun Jahrzehnten nahezu jeden erdenklichen Stresstest erlebt und stets funktionierend überstanden, darunter die Megakrise des Zweiten Weltkriegs und mehrere schwere Markt- und Börsenkrisen (Ölkrisen-Crash ab 1973, Dotcom-Crash ab 2000, große Finanzkrise ab 2007, Corona-Crash ab Februar 2020 und den Russland-Ukraine-Krieg ab Februar 2022). Indexfonds als Variante von Investmentfonds existieren seit rund 50 Jahren, ETFs als Variante von Indexfonds seit 30 Jahren – von neuartigen, ungetesteten Anlageformen kann hier also nicht die Rede sein. In diesen 50 bzw. 30 Jahren hat nach meinem besten Wissen und Gewissen weltweit noch nie ein Privatanleger einen Schaden aus der rechtlichen und marktinfrastrukturellen Struktur von Indexfonds- oder ETFs erlitten, was man für viele anderen Anlageprodukte leider nicht sagen kann, z. B. offene Immobilienfonds.

(b) Sollte in einer Megakrise eine Börsenschließung erfolgen, was in den meisten westlichen Ländern während des Zweiten Weltkriegs für mehrere Jahre der Fall war, würde das unterschiedslos jede Art von börsennotiertem Investment betreffen – natürlich auch Einzelwertpapiere. Abgesehen davon, dass in einer solchen Situation vermutlich auch viele nicht-börsennotierten Assets und Asset-Klassen völlig illiquide (unverkäuflich) werden würden, z. B. nicht börsennotierte Unternehmensbeteiligungen, Immobilien, Lebensversicherungen und Sammlerobjekte. Das ist schon allein deswegen anzunehmen, weil das globale Bankenwesen und Zahlungsverkehrssystem in einer derartigen Krise nicht mehr uneingeschränkt funktionieren würde.

(c) ETFs sind eines der weltweit am schärfsten und engsten regulierten Finanzprodukte, schärfer reguliert als kapitalbildende Lebens- und Rentenversicherungen, Zertifikate, offene Immobilienfonds, geschlossene Fonds und vieles andere, einschließlich des Betriebs von Bankschließfächern und einschließlich nicht-börsennotierter Unternehmensbeteiligungen. Wer die rechtliche Struktur von ETFs als problematisch sieht, der sollte konsequenterweise in keine der genannten Anlagen investieren, da ihre rechtlichen oder „marktinfrastrukturellen“ Gestaltungen risikoreicher sind als die eines normalen Aktien- oder Anleihen-ETFs.

(d) Das globale ETF-Volumen (ohne konventionelle Indexfonds) machte Ende 2023 rund 8.000 Milliarden USD aus. Ein großer Teil davon wird direkt von Privatanlegern und von staatlichen oder privaten Pensionsfonds gehalten. Weil die Summe so groß ist und weil so viele Privatanleger (also Wähler) betroffen sind, ist davon auszugehen, dass die verschiedenen Regierungen auch in einer schweren Krise alles tun werden, diesen Markt hinreichend funktionsfähig zu halten.

(e) Die manchmal geäußerte These, dass der Eigentumsnachweis bei ETF-Anteilen in oder nach einer Megakrise oder in einem einzelnen rechtlichen Streitfall (außerhalb einer Megakrise) schwerer zu führen sei als bei Einzelwertpapieren (Aktien, Anleihen) erscheint wenig plausibel, wenn man sich vergegenwärtigt, dass ETF-Anteile und Einzelwertpapiere mit den gleichen technischen Systemen gehandelt und verwaltet werden. Sollte eine Börse vom Staat geschlossen werden, sind davon Einzelwertpapiere und andere Finanzprodukte genauso betroffen wie ETFs. Und was in einem ETF zu einem gegebenen Zeitpunkt enthalten ist, ist glasklar, weil es ein öffentlicher Index vorgibt.

► Argument 13: ETFs sind liquider als manche Wertpapiere, in die sie investieren. In einer Marktkrise mit austrocknender Liquidität kann das nicht gutgehen. Die Fakten: Dass Fondsanteile in manchen Fällen liquider sind als die Assets, in die der betreffende Fonds investiert, ist kein ETF-spezifischer Sachverhalt. Er gilt für viele Typen kollektiver Investmentvehikel, z. B. für offene und geschlossene Immobilienfonds, Hedge-Fonds, Private Equity-Fonds, so genannte ABS-Investments und viele Fonds von institutionellen Anlegern. Bei ETFs trifft diese Kritik nur auf kleine Nischensegmente mit Minimarktanteilen zu, wie z. B. Hochzinsanleihen-ETFs, und kaum auf ETFs, die in normale Aktien, Staatsanleihen und Unternehmensanleihen mit Investment-Grade-Rating investieren. Überdies wäre die Position eines Direktanlegers in diesen illiquiden Wertpapieren während einer schweren Marktkrise mit großer Wahrscheinlichkeit die gleiche wie die eines entsprechenden ETF-Anlegers. Die in normalen Börsenphasen (über 90% der Zeit) höhere Liquidität bestimmter ETFs, die solche illiquiden Wertpapiere beinhalten, relativ zur Liquidität der individuellen Wertpapiere selbst, muss als Vorteil für die Anleger interpretiert werden, der 90% der Zeit besteht, aber eben nicht immer.

► Argument 14: Die Struktur mancher ETF-Typen ist risikoreich für die Anleger. Die Fakten: Gemeint sind Swap-ETFs, sogenannte gehebelte ETFs (Leveraged ETFs) und Short ETFs. Die Fakten: Der globale Marktanteil von Swap-ETFs liegt bei rund 3% mit sinkender Tendenz. Die Marktanteile von Leveraged ETFs und Short ETFs sind noch deutlich kleiner. Niemand muss diese Spezial-ETFs kaufen, und normale Privatanleger tun es ja ganz offensichtlich auch selten. Systemrisiken können aus diesen Nischenprodukten schon aufgrund ihres geringen Investmentvolumens nicht erwachsen.

► Argument 15: Wertpapierleihe bei ETFs ist ein obskures, risikoreiches Seitengeschäft von ETFs und kann schwer beurteilbare Risiken mit sich bringen. Die Fakten: Wertpapierleihe darf unterschiedslos von allen Investmentfonds – aktiven und passiven – praktiziert werden, und eben nicht nur von ETFs, also auch von aktiv gemanagten Investmentfonds, Hedgefonds, Sovereign-Wealth-Fonds, Pensions-Fonds und anderen institutionellen Fonds. Wertpapierleihe existiert seit über 50 Jahren und hat bei Investmentfonds (aufsichtsrechtlich „UCITS-Fonds“ oder ihrem US-Pendant „Mutual Funds“) bisher noch nie – auch nicht in den zwei großen Börsenkrisen nach dem Jahr 2000 – nennenswerte Schäden für Privatanleger verursacht (mir ist überhaupt kein Schadensfall bekannt). Aus meiner Sicht sind ETFs, die Wertpapierleihe betreiben, vorzuziehen, weil sie über die Wertpapierleihe einen kleinen Zusatzertrag erzielen, der in einem vernünftigen Verhältnis zu dem dabei eingegangenen Minirisiko steht.

► Argument 16: „Mit ETF-Investieren erzielt man nur die Marktrendite (nur die jeweilige Asset-Klassen-Rendite).“ Die Fakten: Dieses Argument ist technisch und formal gesehen richtig. Trotzdem besteht für einen passiven ETF-Anleger statistisch eine ca. 90-prozentige Wahrscheinlichkeit, vergleichbare aktive Anleger über einen Zeitraum von fünf Jahren aufwärts renditemäßig zu schlagen. Andersherum formuliert besteht für den aktiven Anleger statistisch eine 90-prozentige Wahrscheinlichkeit unterhalb der Marktrendite zu liegen, sein Outperformance-Ziel also zu verfehlen. Der US-Finanzjournalist Tyler Mathisen schrieb einmal dazu: „It’s the paradox of index investing today: Gunning for average is your best shot to finish above average.“ [Es ist das Paradox von Kapitalanlagen in Indexfonds: Auf den Durchschnitt zu zielen ist die beste Chance über dem Durchschnitt zu enden.]

► Argument 17: Ein ETF investiert automatisch auch in die schlechten Aktien. Diesen Nachteil habe ich bei aktiv gemanagten Fonds oder beim Stock Picking nicht. Die Fakten: Dieser Einwand ändert nichts daran, dass die Mehrzahl aller aktiv gemanagten Fonds und Do-it-Yourself-Portfolios schlechter rentiert als entsprechende ETFs und die Minderzahl, die besser rentiert, nicht prognostizierbar ist. So sieht es jedenfalls die Wissenschaft. Der Grund: Offensichtlich gelingt es diesen aktiv gemanagten Portfolios nicht hinreichend zuverlässig die schlechten Aktien (diejenigen, die in einem spezifischen Zeitfenster besonders unattraktive Renditen haben) zu vermeiden und/oder die besonders rentablen Aktien mit ausreichend hoher Treffsicherheit im Portfolio zu haben.

► Argument 18: Ein MSCI World ETF ist „kopflastig“ – (siehe auch Argument 3). Die USA als Region macht über 60% aus und die größten zehn Einzelpositionen über 15%. Das ist schlechte Diversifikation. Die Fakten: Ja, das stimmt, aber wer sich daran auf Depotebene stört, der kann das leicht über die Nutzung anderer oder zusätzlicher ETFs nach eigenem Gusto korrigieren und ich halte das für keine schlechte Idee. Allerdings hat die USA-Kopflastigkeit dem MSCI-World Index z. B. in den 20 Jahren bis heute (31.10.2022) renditemäßig geholfen. Ein geringeres USA-Gewicht hätte die Rendite in diesem Zeitraum verschlechtert.

► Argument 19: „In ETFs auf Buy-and-Hold-Basis zu investieren ist langweilig und unsexy.“ Die Fakten: Sofern ein Anleger die Geldanlage primär durch die Brille des Unterhaltungswertes und der damit vielleicht erzielbaren Bragging Rights [das „Recht“ mit etwas anzugeben] betrachtet, dann wird er an ETFs auf Buy-and-Hold-Basis in der Tat keinen Gefallen finden. Dieser Anlegertypus betrachtet Börseninvestments als „Wettstreit“, als „Kampf“ gegen den Markt und gegen andere Anleger, in dem er sich siegreich behaupten möchte. Passives ETF-Investieren, so wie in diesem Buch empfohlen, bedeutet das Gegenteil, nämlich mit dem Markt zu investieren, nicht gegen ihn. Passive ETFs sind Flow, nicht Kampf. Mein Kompromissvorschlag an einen Anleger, der ETFs für zu langweilig hält: Investieren Sie 90% Ihres liquiden Vermögens über ETFs auf Buy-and-Hold-Basis propagiert wird, und 10% sozusagen in ein kleines Zockerdepot, mit dem Sie Ihren sportlichen Finanzehrgeiz ausleben.

 

Fazit

Der größte Teil der ETF-Kritik ist einseitig oder falsch und kommt von Personen mit einem Interessenkonflikt, oder Journalisten, die mit Angstmache Auflagen und Klickraten steigern wollen. Immerhin: In einigen technischen Spezialaspekten hat diese Kritik im Laufe der Jahre dazu beigetragen, ETFs noch sicherer und noch transparenter zu machen.

ETFs haben in den vergangenen 30 Jahren drei denkbar harte, oben genannte Stresstests problemlos überstanden. In diesen 30 Jahren gab es außerdem noch viele, viele kleinere, speziellere oder lokale Krisen am Kapitalmarkt. Aus der rechtlichen Struktur von ETFs hat meines Wissens bis zum heutigen Tag kein Privatanleger weltweit je einen Schaden erlitten. Kein Finanzprodukt hat in den vergangenen 50 Jahren global einen größeren Nutzen für Kleinanleger generiert als Indexfonds einschließlich ihrer ETF-Variante.

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