Das Zins­änderungs­risiko bei Anleihen

Von Alexander Weis und Gerd Kommer  

Immobilien, Anleihen (einschließlich Bankguthaben) und Aktien bilden das Fundament der meisten Privatanlegerportfolios. In diesem Blog-Beitrag befassen wir uns mit den Risiken von Anleihen – Staatsanleihen und Unternehmensanleihen – und speziell dem Zinsänderungsrisiko.

Im Wesentlichen existieren drei mögliche Quellen für Anleihenrisiko: Fremdwährungsrisiko (Wechselkursrisiko), Ausfallrisiko (Bonitätsrisiko oder Englisch „Credit Risk“) und Zinsänderungsrisiko. Mit Währungsrisiko haben wir uns in unserem Blog-Beitrag „Währungsabsicherung: Wann sinnvoll, wann nicht?“ auseinandergesetzt; das Ausfallrisiko werden wir in einem zukünftigen Beitrag aufgreifen.

Bei Anleihen, sofern sie in einem systematisch strukturierten Portfolio die Rolle eines „Risikoankers“ einnehmen sollen, müssen die drei genannten Risiken auf ein Minimum oder sogar, wenn möglich, auf null reduziert werden.

Das Währungsrisiko kann vollständig ausgeschaltet werden, indem man sich auf Anleihen in seiner „funktionalen Währung“ („Heimatwährung“) oder auf Fremdwährungsanleihen mit einer Wechselkurssicherung (Hedge) beschränkt. Das Ausfallrisiko lässt sich durch die Auswahl von Papieren hoher Bonität und durch Diversifikation senken. Bleibt das Zinsänderungsrisiko. Dieses lässt sich durch die Beschränkung auf Anleihen mit kurzen Restlaufzeiten sehr weit herunterfahren.

Was genau ist Zinsänderungsrisiko? Allgemein formuliert ist es das Risiko schädlicher Vermögenseffekte, das sich aus Zinsänderungen ergibt. Konkreter ausgedrückt und auf die Position eines Anlegers bezogen, ist es das Risiko von Kursverlusten bei Anleihen, die entstehen können, wenn die Marktzinsen steigen. Für Privatanleger dürfte das Zinsänderungsrisiko unter den drei Anleiherisiken die meisten Verständnisprobleme verursachen.

Um die Zinsänderungsrisikothematik zu verstehen, wollen wir uns daher ganz kurz mit ein wenig einfacher Anleihen-Mathematik befassen. Das hier zentrale Konzept ist der negative oder inverse Zusammenhang zwischen dem Kurs (dem Preis oder Wert) von Anleihen und der Veränderung des Marktzinsniveaus: Ein Anstieg des Marktzinses führt unter sonst gleichen Umständen zu einem Rückgang von Anleihenkursen, ein Sinken des Marktzinses zu einem Kursanstieg. Warum das so ist, illustrieren wir anhand des folgenden fiktiven Beispiels:

Angenommen, der Marktzinssatz für zehnjährige Bundesanleihen am 01.01.2020 beträgt 1% p. a. und die Bundesrepublik Deutschland begibt an diesem Tag eine Anleihe (Anleihe A) mit einem jährlichen Coupon (jährliche Zinszahlung) von 1% und einer Laufzeit von 10 Jahren. In diesem einfachen Fall wird der Markt diese Anleihe am Emissionstag mit genau 100 Euro „bepreisen“. Unterstellen wir ferner (wie auch immer unwahrscheinlich), das einen Tag später am 02.01.2020 der Marktzins schlagartig auf 2% ansteigt und Deutschland am selben Tag eine neue Anleihe (Anleihe B) begibt, die ebenfalls eine Laufzeit von 10 Jahren aufweist, aber einen Coupon von 2% p. a. zahlt. Anleihe B wird im Markt ebenfalls für 100 Euro gehandelt, weil der gezahlte Coupon exakt dem neuen Marktzins entspricht.

Da die neu begebene Anleihe B mit 2% einen attraktiveren Coupon aufweist als die am Vortag emittierte Anleihe A (die ja nahezu die gleiche Restlaufzeit hat) mit lediglich 1%-Coupon, muss der Marktwert der Anleihe A so weit sinken, dass die Anleger indifferent zwischen den beiden Anleihen sind; in diesem Beispiel wäre das bei einem Kurs von rund 91€ der Fall. Auf die Darstellung der zugrunde liegenden Berechnungen verzichten wir hier der Einfachheit halber (siehe dazu den Wikipedia-Artikel über Anleihen.)

Unser Beispiel illustriert, dass ein Zinsanstieg zu einem Rückgang von Anleihenpreisen führen muss. Es existiert eine einfache Faustformel, mit der man das zu erwartende Ausmaß an Marktkursänderungen infolge von Zinsänderungen abschätzen kann. Sie lautet wie folgt: Steigen bzw. fallen die Marktzinsen um X%, fällt bzw. steigt der Marktkurs einer Anleihe um X × Y%, wobei X dem Zinsanstieg in Prozentpunkten entspricht und Y der Restlaufzeit der Anleihe in Jahren. Ein Beispiel: Die Zinsen steigen von 2% auf 3% und die Restlaufzeit einer Anleihe beträgt 15 Jahre. In dem Fall wird der Kurs der Anleihe ungefähr um 1% × 15 = 15% fallen. (Diese Faustregel gilt allerdings nur approximativ, funktioniert nur für relativ geringe Zinsänderungen und nur für Anleihen, die niedrige Coupons aufweisen. Das sind jedoch Voraussetzungen, die gerade derzeit in der Praxis erfüllt werden. Diese besagte Faustformel ergibt sich aus dem Konzept der sogenannten Modified Duration (siehe dazu den Wikipedia-Artikel über Bond Duration.)

Das Zinsänderungsrisiko einer Anleihe kann man in gewissem Sinne ausschalten, indem man sie bis zur Fälligkeit hält und wenn dem Anleger zwischenzeitliche Wertschwankungen gleichgültig sind. Am Ende der Laufzeit wird man nämlich immer ihren ursprünglich zugesagten, so genannten Nennwert zurückbezahlt bekommt (vorbehaltlich eines Ausfalls des Anleihen-Emittenten). Diesen Umstand kann man beispielsweise dann ausnutzen, wenn man bereits heute weiß, dass man an einem Zeitpunkt in der Zukunft einen bestimmten Geldbetrag benötigen wird. Dann kann man nämlich einfach eine Anleihe mit einem Nennwert in der Höhe des benötigten Betrags und demselben Fälligkeitsdatum erwerben. Dieses Konzept nennt sich im Fachjargon „Asset-Liability Matching“ und wird beispielsweise in den Anlageportfolios von kapitalbildenden Lebensversichrungen betrieben: Für eine Zahlungsverpflichtung von 1 Mio. Euro in zehn Jahren erwirbt eine Versicherung heute eine Anleihe, die in zehn Jahren fällig wird und dann 1 Mio. Euro zahlt. Für die meisten Privatanleger dürfte dieses Konzept von begrenztem Interesse sein, da das angelegte Geld über die gesamte Laufzeit hinweg nicht angerührt werden darf, weil es sonst eben wieder den üblichen Marktkursschwankungen unterliegen würde und weil die meisten die Kursschwankungen bis zur Fälligkeit ohnehin nicht ignorieren können.

An dieser Stelle müssen wir noch kurz auf den Sonderfall Bankguthaben eingehen. Schließlich könnte ein Anleger nun einwerfen, dass sich das Zinsänderungsrisiko von Anleihen insbesondere im kurzfristigen Bereich ja leicht und vollständig vermeiden lasse, indem man statt einer kurzlaufenden Anleihe Bankguthaben verwendet (Tagesgeld, Festgeld, Sparbuch, etc.). Ja, bei Bankguthaben besteht in der Tat kein Zinsänderungsrisiko, doch dieser Vorteil wird durch ein hohes Ausfallrisiko erkauft. Wegen dieses Risikos kommen Bankguthaben für rationale Anleger generell nur bis zur Obergrenze der staatlichen Einlagensicherung in Frage oder für sehr kurzfristiges Geldparken bis eine weniger risikoreiche Anlageform gefunden wurde. Die besagte Obergrenze liegt bei 100.000 Euro pro Einleger-Bank-Kombination (staatliche Einlagensicherung). Warum das Ausfallrisiko bei Bankguthaben jenseits dieser Grenze inakzeptabel ist, haben wir in unserem kürzlichen Blog-Beitrag „Das unterschätzte Risiko von Bankguthaben“ gezeigt.

Zurück zu Anleihen und zu einem realen Beispiel für Zinsänderungsrisiko: Die Republik Österreich emittierte am 12.09.2017 zwei verschiedene Anleihen. Eine mit einer Restlaufzeit von fünf Jahren und einem Coupon (jährliche Zinszahlung) von 0,0% und eine mit einer Restlaufzeit von beeindruckenden 100 Jahren und einem Coupon von 2,1%. Da die Marktzinsen seit Emission dieser Papiere (Stand Ende November 2019) leicht gesunken sind (noch niedriger wurden), sind die Kurse beider Anleihen erwartungsgemäß gestiegen – der der fünfjährigen Anleihe um knapp 1%, der der 100-jährige Anleihe um spektakuläre 73% (Stand Ende November 2019). Dieser Fall verdeutlicht zwei Dinge. Erstens, dass nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Realität ein inverser Zusammenhang zwischen Änderungen des Marktzinsniveaus und der Rendite von Anleihen besteht und zweitens, dass dieser umso stärker ausgeprägt ist, je höher die Restlaufzeit einer Anleihe ist. Zusammengefasst: Wenn die Zinsen steigen, sinken die Kurse von Anleihen und umgekehrt. Dieser Effekt ist stärker für Anleihen mit langer Restlaufzeit als für solche mit kurzer Restlaufzeit.

Unterstellt man ein „normales“ Zinsniveau, das sich z. B. aus dem Mittelwert der realen (inflationsbereinigten) Zinsen über einen hinreichend langen historischen Zeitraum ableiten lässt, dann implizieren die niedrigen Zinsen heute, dass Anleihen aktuell hoch bewertet sind. Deswegen wird in Fachartikeln – nach einem von Anfang der 1980er Jahre bis 2016 fast 35 Jahre anhaltenden globalen Zinssenkungstrend – häufig von der „Bond Bubble“, der Anleihenblase, gesprochen. Es gilt das Grundprinzip: Niedrige Zinsen gehen mit einer hohen Bewertung des Anleihenmarktes einher, hohe Zinsen mit einer niedrigen Bewertung.

Allgemein formuliert: Jede Asset-Klasse hat zu einem gegebenen Zeitpunkt ein spezifisches Bewertungsniveau; je höher das Bewertungsniveau, desto niedriger die „erwarteten Renditen“ in der Zukunft, also die durchschnittlichen Renditen in den nächsten Jahren bis zur Normalisierung des Bewertungsniveaus. Bei Anleihen ist die sogenannte „Umlaufrendite“ (Rendite bis zur Fälligkeit) die erwartete Rendite und somit besonders einfach zu ermitteln.

Es ist inzwischen auch bei der breiten Bevölkerung angekommen, dass die Asset-Klasse Wohnimmobilien in den großen Städten der DACH-Länder heute eher hoch bewertet ist (siehe hierzu z. B. die kürzlich veröffentlichte Studie „UBS Global Real Estate Bubble Index 2019“ der UBS). Aus den Ausführungen in diesem Blog-Artikel wissen wir nun, dass auch Anleihen hoch bewertet, also „teuer“ sind. Lediglich die Asset-Klasse Aktien in Gestalt des globalen Aktienmarkts befindet sich aktuell relativ nahe an ihrem fairen Bewertungsniveau (die Ausführungen und Zahlen in unserem Blog Beitrag „Überbewertung des Aktienmarkts – was tun?“ per Juni 2018 sind heute unverändert gültig). Für Gold existiert keine sinnvolle, allgemein anerkannte Methode das Bewertungsniveau zu bestimmen (siehe hierzu auch unseren Blog-Beitrag „Gold als Investment – braucht man das?“). Bei Rohstoffen (exklusive Edelmetalle) dürfte das Bewertungsniveau heute eher niedrig sein.

Noch nicht in der allgemeinen Bevölkerung angekommen ist das Faktum, dass
„Nullzinsen“ nicht neu sind, sondern in den global wohlhabendsten Ländern mit hoher Rechtssicherhiet und hoher Bonität in den letzten 120 Jahren häufig über kurze und lange Zeiträume auftraten. Diese für konkrete Anlageentscheidungen von Privatanlegern aus unserer Sicht enorm wichtige Feststellung haben wir in unserem Blog-Beitrag „Nullzinsen und Anlagenotstand – real oder nur konstruiert?“ dargelegt. Allerdings werden wir das Gegenteil – „die heutigen ‚Nullzinsen‘ sind etwas völlig neues und einzigartiges“ – noch über Jahre hinweg falsch von Medien oder ahnungslosen Politikern hören.

Da die Nominal- und Realzinsen in allen westlichen Ländern derzeit außerordentlich niedrig und – für Staatsanleihen der Länder mit der höchsten Bonität – sogar negativ sind und da alle westlichen Zentralbanken seit mehreren Jahren eine lockere, expansive Geldpolitik betreiben, erscheint es für uns eher unwahrscheinlich, dass die Zinsen noch nennenswert weiter fallen werden. Andersherum halten wir es für plausibel, dass sie in den nächsten Jahren wieder ansteigen werden.

Um in diesem Kontext unser Beispiel 100-jähriger österreichischer Staatsanleihen noch einmal aufzugreifen: Bei einem Anstieg des Marktzinses von zwei oder drei Prozentpunkten ist bei dieser außerordentlich langfristigen Anleihe mit einem Kursverlust von über 90% zu rechnen.

 

Fazit

Wie sollte man einen als Risikoanker dienenden Anleihenteil im Portfolio angesichts des momentan eher hohen Zinsänderungsrisikos vor einem drohenden Zinsanstieg schützen? Am besten geht das, indem man sich auf kurzfristige Anleihen hoher Bonität in seiner Heimatwährung beschränkt. Die Restlaufzeit der Anleihen sollte so gering wie möglich gewählt werden, da kurzfristige Anleihen im Falle eines Zinsanstiegs in viel geringerem Maße leiden und die dann höheren Zinsen viel schneller mitnehmen werden als langfristige Anleihen. Bei einem Portfolio aus vielen Anleihen, z. B. bei einem oder mehreren Anleihen-ETF, ist die durchschnittliche Restlaufzeit maßgeblich.

Dass kurzfristige Anleihen hoher Qualität derzeit Nullrenditen oder negative Renditen erzeugen, sollte niemanden von dieser Vorgehensweise abhalten. Schließlich geht es bei diesem Investment erstens primär um Sicherheit und nur sekundär um Rendite und zweitens, weil Realzinsen nahe null für die „risikofreie“ Anlage in den letzten 120 Jahren überwiegend der Normalfall waren.

 

Literatur

Holzhey, Matthias; Skoczek, Maciej; Hofer, Katharina (2019): „UBS Global Real Estate Bubble Index 2019“; UBS Schweiz AG, Zürich; Internet-Fundstelle (letzter Aufruf am 15.10.2019): https://www.ubs.com/global/en/ubs-news/r-news-display-ndp/en-20190930-grebi-global.html

Kommer, Gerd; Weis, Alexander (2019): „Gold als Investment – braucht man das?“; Blog-Beitrag; November 2019; Link: https://www.gerd-kommer-invest.de/gold-als-investment/

Kommer, Gerd/Schweizer, Jonas (2018): „Das Risiko von Direktinvestments in Immobilien besser verstehen“; Blog-Beitrag; August 2018; Link: https://www.gerd-kommer-invest.de/das-risiko-von-direktinvestments-in-immobilien-besser-verstehen/

Kommer, Gerd; Schweizer, Jonas (2019): „Das unterschätzte Risiko von Bankguthaben“; Blog-Beitrag; August 2019; Link: https://www.gerd-kommer-invest.de/risiko-von-bankguthaben/

Kommer, Gerd; Schweizer, Jonas (2018): “ Überbewertung des Aktienmarkts – was tun?“; Blog-Beitrag; Juni 2018; Link: https://www.gerd-kommer-invest.de/ueberbewertung-des-aktienmarkts/

Kommer, Gerd; Weis, Alexander (2018): „Nullzinsen und Anlagenotstand – real oder nur konstruiert?“; Blog-Beitrag; April 2018; Link: https://www.gerd-kommer-invest.de/nullzinsen-und-anlagenotstand/

Kommer, Gerd; Weis, Alexander (2018): „Währungsabsicherung: Wann sinnvoll, wann nicht?“; Blog-Beitrag; Januar 2018; Link: https://www.gerd-kommer-invest.de/wann-ist-waehrungsabsicherung-sinnvoll/

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