Von Gerd Kommer und Alexander Weis
Aus der Helikopterperspektive betrachtet, existieren eigentlich nur zwei Grundformen von Investieren: „Aktiv“ und „passiv“. Die meisten Menschen assoziieren Investieren und Vermögensbildung quasi automatisch nur mit Aspekten, die zu aktivem Investieren gehören. Aktives Investieren ist „das, was alle machen“, nämlich Stock Picking, Market Timing oder eine Mischung aus beidem.
Aktiv investieren heißt, Geld anlegen mit dem bewussten oder unbewussten Ziel, ein im Vergleich zum relevanten Markt oder zur relevanten Asset-Klasse besonders attraktives Investment zu tätigen. Aus der praktischen Perspektive eines Privatanlegers bedeutet das, Geld entweder selbst aktiv zu investieren oder einen Banker, Vermögensverwalter oder Fondsmanager gegen Bezahlung damit zu beauftragen. Der weltweite Marktanteil aktiven Investierens dürfte – korrekt berechnet – bei etwa 98% liegen (Kommer, 2019). Ein passiver Anleger will den Markt nicht schlagen, sondern investiert auf Buy-and-Hold-Basis in den ganzen Markt und nutzt dazu kostengünstige Indexfonds bzw. ETFs.
Aktives Investieren hat unter anderem deswegen einen so hohen Marktanteil, weil es einem zentralen Grundmerkmal der menschlichen Psyche entspricht, das in den letzten 10.000 Jahren von der Evolution in unsere DNA hineingebacken wurde: Fast alle unter uns wollen besser sein als die anderen. Beim Investieren sind die anderen der Markt. Aktives Investieren fühlt sich normal, natürlich und selbstverständlich an. Dennoch bringt es ein großes Problem mit sich: Es funktioniert ziemlich schlecht.
Eine deutliche Mehrheit aller aktiven Investoren – je nach Studie über 90%– liegt für ein gegebenes Zeitfenster (z. B. das Kalenderjahr 2019, die letzten fünf Jahre oder die 20 Jahre von 1970 bis 1989) unter ihrer passiven Benchmark, also einem nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten vergleichbaren Index, der einfach nur auf Buy-and-Hold-Basis den Markt bzw. die Asset-Klasse abbildet.
Die Minderheit der aktiven Anleger, die für das betreffende Zeitfenster ihre passive Benchmark geschlagen hat, hat das vermutlich aus Zufall getan. Man kann das recht verlässlich schlussfolgern, weil diese Minderheit der Outperformer im nächsten äquivalenten Zeitfenster aus anderen Gewinnern bestehen wird. Aus der Existenz und Zusammensetzung der Minderheit lässt sich nichts für die Zukunft ableiten. Die wissenschaftlichen Untersuchungen, die das seit rund 60 Jahren immer und immer wieder neu und überzeugender belegen, sind längst nicht mehr zählbar.
Die Quintessenz aus 60 Jahren empirischer Finanzmarktforschung: Wahrscheinlichkeitsgewichtet ist aktives Investieren ein Verliererspiel.
Üblicherweise wird die sogenannte Efficient-Market-Hypothese („EMH“) als Grund für die bessere Rendite-Risiko-Kombination von passivem Investieren genannt. Das ist korrekt, aber zu kurz gegriffen, denn tatsächlich existieren neben der EMH noch mehrere andere Ursachen und Argumente, die alle gemeinsam passives Anlegen zum rentableren Ansatz machen.
Diesen Blog-Beitrag wollen wir daher dafür nutzen, um einmal alle Argumente darzustellen, die zusammengenommen für die Überlegenheit von passivem Investieren sorgen.
Es folgen nun zehn Argumente, warum passives Investieren eine bessere Rendite-Risiko-Kombination erzeugt als aktives Investieren.
(1) Die Efficient-Market-Hypothese („EMH“)
Wie oben erwähnt, ist sie das am häufigsten genannte Argument gegen aktives Investieren. Die EMH besagt, dass Wertpapierpreise zu jedem gegebenen Zeitpunkt alle öffentlich verfügbaren Informationen bereits enthalten; diese Informationen also schon eingepreist sind. Man bezeichnet das als Informationseffizienz der Kapitalmärkte (Brown, 2011). Durch die Nutzung öffentlicher Informationen – andere haben die allermeisten Anleger nicht – lässt sich somit kein zuverlässiger Renditevorteil (im Fachjargon „Alpha“) gegenüber dem Marktdurchschnitt erzielen. In einem informationseffizienten Markt ist die Abweichung zur Marktrendite bei einem einzelnen Anleger Zufall. Als „Vater“ der EMH gilt der amerikanische Wirtschafts-Nobelpreisträger Eugene Fama.
(2) „The Arithmetic of Active Management“ (AAI)
Diese Bezeichnung ist der Titel eines berühmten Aufsatzes des Wirtschafts-Nobelpreisträgers William Sharpe. Die AAI sagt, dass der durchschnittliche aktive Anleger einen äquivalenten passiven Anleger mit mathematischer Notwendigkeit unterperformen muss (Sharpe, 1991). Etwas präziser formuliert: Mindestens 50% aller aktiv investierten Geldeinheiten müssen eine schlechtere Rendite haben als eine passiv investierte Geldeinheit. Das ist deswegen so, weil alle Anleger gemeinsam ja den Markt bilden. Es muss also – vor Kosten – genau eine Hälfte besser sein als der Markt und die andere Hälfte schlechter. Passive Anleger erzielen vor Kosten definitionsgemäß genau die Marktrendite. Da die Kosten der aktiven Anleger notwendigerweise höher sind als die der passiven Anleger, wird mehr als die Hälfte der aktiven Anleger einen passiven Anleger „netto“ unterperformen. Diese Aussage setzt weder die Gültigkeit der EMH noch andere Bedingungen voraus. Hinter ihr verbirgt sich letztlich ganz simple Sach- und Marktlogik in Verbindung mit den fünf- bis zehnmal höheren Kosten aktiven Investierens gegenüber passivem Investieren.
(3) Der eingebaute Steuervorteil von Buy-and-Hold
Nahezu alle Anleger zahlen Steuern und aktive Anleger zahlen mehr Steuern als passive Anleger. Warum? Aktiv investieren erfordert definitionsgemäß mehr Käufe und Verkäufe als passives Anlegen, das notwendigerweise ein Buy-and-Hold-Ansatz ist. Weil die Realisierung von Kursgewinnen und die davon ausgelöste Steuerzahlung unter Buy-and-Hold in die Zukunft verschoben wird, produziert es gegenüber aktivem Investieren (wo das für die durchschnittliche Position nicht oder weniger der Fall ist) einen sogenannten steuerlichen Barwertvorteil, das heißt die effektive Steuerbelastung sinkt. Dieser Zusammenhang existiert in praktisch jedem Steuerregime. Unter sonst gleichen Bedingungen wird dieser Steuervorteil von Buy-and-Hold umso größer, je höher das Steuerniveau ist. Unter dem deutschen Abgeltungsteuerregime führt dieser Effekt bei Aktien unter sonst gleichen Umständen zu einem Nettorenditeplus von etwa einem Prozentpunkt pro Jahr, wenn man einen Zeitraum von 30 Jahren Buy-and-Hold unterstellt (Kommer, 2018).
(4) Rechtsschiefe in der Renditeverteilung bei Aktien
Rechtsschiefe ist ein Begriff aus der Statistik und bedeutet – vereinfacht ausgedrückt – dass sehr weit „rechts“ vom Durchschnitt einige extreme Ausreißer existieren. Das Phänomen ist sowohl im „Marktquerschnitt“ als auch im „Zeitlängsschnitt zu beobachten. Zunächst zur Rechtsschiefe im Sinne des Marktquerschnitts: Der Marktquerschnitt sind alle Aktien, die in einem bestimmten Zeitraum (z. B. 50 Jahre) existieren oder existiert haben. Hier die Krux: Lediglich 4% aller Aktien sind verantwortlich für die gesamte Marktrendite oberhalb des Geldmarktzinses („risk-free return“) (Bessembinder, 2018). Die anderen 96% „Loser-Aktien“ erzeugen kollektiv nur die „Sparbuchrendite“, die inflationsbereinigt nahe bei null liegt. Da die positive Marktrendite letztlich in außerordentlich wenigen „Superstar-Aktien“ konzentriert ist, dürfte es sehr schwer sein, diese dauerhaft und hinreichend zuverlässig per Stock Picking zu identifizieren. Für ein gegebenes Zeitfenster gelingt das – wie oben erwähnt – nur einer kleinen Minderheit von Stock-Pickern und vermutlich aus Zufall. Ein ganz anderes, aber ähnliches „Rechtsschiefe-Phänomen“ besteht im zeitlichen Längsschnitt, also den Marktrenditen pro Periode (z. B. Tage, Monate oder Jahre) entlang der Zeitachse. Verpasste man bspw. beim MSCI-World-Standard-Index von Anfang 1970 bis Ende 2019 (50 Jahre bzw. 600 Monate) die renditeträchtigsten 20 Monate – das sind nur 3% aller Monate in diesen 50 Jahren – schrumpft die Gesamtrendite von 7,9% p. a. (nominal und in Euro) drastisch um die Hälfte auf 3,95% p. a. Verpasst man die besten 49 Monate, also lediglich 8% aller Monate, fällt die resultierende Rendite über die ganzen 50 Jahre auf null. Würde man diese Kalkulation auf Tage statt Monate beziehen, wäre der renditezerstörende Effekt durch das Verpassen kleiner Zeitanteile der Gesamtzeitspanne sogar noch extremer. Aus „Rechtsschiefe-Gründen“ muss Market Timing also unrealistisch präzise sein, um Erfolg zu haben.
(5) „The Paradox of Dropouts“
Nach dieser These des Ökonomen Steven Thorley wird der Kapitalmarkt (z. B. der globale Aktien- oder Anleihenmarkt) als ein Spiel mit Teilnehmern unterschiedlichen Könnens verstanden – eine plausible Annahme (Thorley, 1999). Es ist demzufolge naheliegend, dass im Zeitablauf vorwiegend Spieler (Marktteilnehmer) mit niedrigem Können (Skill) aus dem Spiel ausscheiden werden, da sie ihren mangelnden Spielerfolg (Rendite) früher oder später bemerken. Infolgedessen steigt das durchschnittliche Skill-Niveau der verbleibenden Spieler. Für einen gegebenen verbleibenden Spieler wird es dann schwieriger, den nun höheren durchschnittlichen Skill-Level (im Spiel „Börse“ ist das die Marktrendite) zu übertreffen. Das Paradoxon von Dropouts impliziert, dass der seit einigen Jahren zunehmende Marktanteil passiven Investierens (und im Gegenzug der abnehmende Marktanteil aktiven Investierens) – anders als oft behauptet – vermutlich nicht zu einem Vorteil für die verbleibenden aktiven Anleger führt, sondern zu einem Nachteil.
(6) „The Paradox of Skill“
Diese These wurde ursprünglich vom amerikanischen Biologen Stephen Jay Gould formuliert. Sie geht folgendermaßen: Es wird angenommen, dass die Börse ein Wettbewerb ist, dessen Ergebnis (die Verteilung von Alpha unter den Marktteilnehmern, also die Mehr- oder Minderrendite relativ zum Marktdurchschnitt) teilweise von Können und teilweise von Zufall bestimmt wird. Es wird ferner unterstellt, dass das absolute Skill-Niveau der Marktteilnehmer aufgrund von wissenschaftlichem und technischem Fortschritt kombiniert mit besserer Ausbildung der Anleger im Zeitablauf steigt und dieses Können zugleich allmählich uniformer unter den Marktteilnehmern verteilt ist – letzteres auch deswegen, weil der Anteil von Privatanlegern an allen Direktanlegern (Do-it-Yourself-Anlegern) tatsächlich sinkt (das ist für den US-Aktienmarkt belegt). In einem solchen Kontext wird der relative Beitrag von Zufall gegenüber Können in der Bestimmung des Wettbewerbsergebnisses (die Verteilung von Alpha unter den Marktteilnehmern) im Zeitablauf zunehmen, weil das Können der Marktteilnehmer näher beieinander liegt (Mauboussin & Callahan, 2013). Ein Paradoxon ist dieses Phänomen, weil trotz des absolut steigenden Könnens der meisten Spielteilnehmer der Einfluss des Zufalls auf das einzelne Ergebnis steigt. Je höher der Einfluss von Zufall ist, desto unattraktiver ist aktives Investieren.
(7) Die Berk-Green-Hypothese zur Allokation von Alpha
Die beiden Wirtschaftswissenschaftler Berk und Green zeigten 2004 in einer vielbeachteten Studie, dass in einem Markt, in dem es Profi-Investoren gibt, die zuverlässig Alpha erzeugen können (also einem nicht-informationseffizienten Markt), dieses Alpha dennoch nicht zu den Bereitstellern des Investitionskapitals, also den Anlegern, fließt, sondern in Gestalt eines entsprechend ausgeweiteten Gebührenaufkommens von den Besitzern dieses Könnens (den Investment-Managern) abgeschöpft wird (Berk & Green, 2004). Nach Berk und Green erhöhen erfolgreiche Investment-Manager (z. B. Manager von Publikumsfonds, Hedge-Fonds oder Vermögensverwalter) mit einem positiven Alpha ihr absolutes Gebühreneinkommen über das steigende verwaltete Geldvolumen und in manchen Fälle auch über einen Anstieg der prozentualen Fee so lange, bis die Nettorendite für die Investoren sich der Rendite des Marktes stark angenähert hat. Diese These lässt sich mit dem beobachtbaren Datenmaterial gut in Einklang bringen. Die Berk-Green-Hypothese sagt also, dass selbst, wenn echter Skill unter den Marktteilnehmern existiert, nicht die Endanleger davon profitieren werden.
(8) Verschärfung der Regulierung
In einem eng regulierten Markt ist es schwerer den Markt zu schlagen als in einem lose regulierten Markt. Tendenziell trägt Regulierung zur Eliminierung von „Spezial-Chancen“ einzelner Investoren und zu mehr Chancengleichheit für die Masse der Anleger bei. In den vergangenen Jahrzehnten hat weltweit die Regulierungsdichte in den Finanzmärkten stark zugenommen, ganz besonders in den letzten zwölf Jahren seit der Großen Finanzkrise von 2007 bis 2009. Die Aufsicht ist strikter, professioneller und die Strafverfolgung im Falle von Finanzmarktvergehen wirksamer geworden. Diese Entwicklung wird sich in der Zukunft wahrscheinlich fortsetzen. Man denke nur an die in den westlichen Ländern drastisch intensivierten Strafmaße und die Strafverfolgungen von Insider Trading, einer historisch wichtigen Quelle von Outperformance.
(9) Technischer Fortschritt
Die zunehmende Verbreitung und die Verbesserung der Computer-Technologie und des Internets führen dazu, dass im langfristigen Zeitablauf immer mehr Anleger mit immer besseren Informationen und Tools den Markt beobachten und analysieren. Kurzzeitig auftretende „Marktanomalien“ (fehlgepreiste Wertpapiere, also Chancen für Mehrrenditen) werden daher immer schneller und immer konsistenter wegarbitriert, so dass es seltener zu Outperformance-Gelegenheiten kommt. Dieser technische Fortschritt wird auch in Zukunft weitergehen.
(10) Begrenztes Alpha-Volumen versus steigende Zahl der Alpha-Jäger
Der Pool an Chancen, Mehrrenditen gegenüber dem Markt zu erzielen (Alpha-Pool) wird letztlich durch die Weltwirtschaft, also die Realwirtschaft begrenzt. Man könnte auch vereinfachend sagen, durch die Zahl der Unternehmen und Investmentprojekte. Die Weltwirtschaft wächst im Zeitablauf mit rund 3% pro Jahr. Die Zahl der „Alpha-Jäger“ – das sind alle aktiven Investoren – steigt jedoch schneller. Einer von vielen Indikatoren hierfür ist der Anstieg der Zahl von Hedge-Fonds: Im Jahr 2000 existierten weltweit 900, heute sind es 15.000 (ein durchschnittliches Wachstum von jährlich etwa 16%). Auch die Zahl der Wissenschaftler, die die Finanzmärkte studieren, nimmt seit Jahrzehnten zu. Wo sich die Wölfe schneller vermehren als die Lämmer, bleibt für den einzelnen Wolf immer weniger (Berkin & Swedroe, 2015).
Fazit
Wir haben gezeigt, dass nicht nur die Efficient-Market-Hypothese – die Informationseffizienz der Finanzmärkte – für die statistisch beobachtbare Überlegenheit von passivem Investieren ursächlich ist, sondern daneben auch noch neun andere Faktoren, die jedoch in den Finanzmedien selten erwähnt werden. Aus unserer Sicht besonders bemerkenswert ist dabei, dass mehrere der hier aufgeführten Contra-aktiv-Argumente in ihrer Stärke und Auswirkung in Zukunft vermutlich sogar noch zunehmen dürften. Soweit das der Fall ist, wird es die relative Attraktivität von passivem Investieren in den nächsten Jahren weiter erhöhen.
Literatur
Berk, Jonathan; Green, Richard (2004): „Mutual fund flows and performance in rational markets“; In: Journal of Political Economy; Vol. 112; No. 4.
Berkin, Andrew; Swedroe, Larry (2015): „The Incredible Shrinking Alpha: And What You Can Do to Escape Its Clutches“; Buckingham.
Bessembinder, Hendrik (2018): „Do Stocks Outperform Treasury Bills?“; In: Journal of Financial Economics; Vol. 129; No. 3.
Brown, Stephen (2011): „The efficient market hypothesis: The demise of the demon of chance;“ In: Accounting and Finance; Vol. 51.
Kommer, Gerd (2018): Souverän Investieren mit Indexfonds und ETFs; Campus Verlag (5. Aufl.); Seite 235 ff.
Kommer, Gerd (2019): „Die wichtigsten Argumente der ETF-Kritiker – Was ist dran an ihnen?“ Vortrag beim Bundesverband Verbraucherzentralen; https://gerd-kommer.de/medien/2019-01-VZBV-Kommer-V9-L.pdf
Mauboussin, Michael; Callahan, Dan (2013): „Alpha and the Paradox of Skill“; Credit Suisse.
Sharpe, William (1991): „The Arithmetic of Active Management“; In: Financial Analysts Journal; Vol. 47; Nr. 1.
Thorley, Steven (1999): „The Inefficient Market Argument for Passive Investing“; Internet-Fundstelle: http://www.indexinvestor.co.za/index_files/theories_24.htm