Von Gerd Kommer und Tobias Jerschensky
Die Entwicklung der heutigen Finanzbranche dürfte in der Bronzezeit vor rund 3000 Jahren begonnen haben. Seitdem versuchen jeden Tag irgendwo auf der Welt Finanzvertriebler den Rest der Menschheit davon zu überzeugen, man habe „ein neues, besonders attraktives Investment“ gefunden, in das schlaue, ertragsorientierte Zeitgenossen unbedingt investieren müssten. In diese Kategorie fällt seit jüngster Zeit „Kunst als Investment“ [1].
Um das zu illustrieren, hier sechs kurze Zitate aus dem aktuellen Marketing von Kunstmaklern und Finanzdienstleistern, die mit Kunstinvestments von Privatanlegern Geld verdienen wollen:
- „Kunst ist einer der ältesten und zugleich wertbeständigsten Sachwerte überhaupt. Vermögende auf der ganzen Welt sichern seit jeher einen Teil ihres Vermögens in diesem besonderen Sachwert. Kunst verzeichnet dabei – losgelöst von den Kapitalmärkten – eine schwankungsarme Wertentwicklung. Die Rendite: Durchschnittlich 10,95% jährliche Performance, nachweislich seit über 55 Jahren.“ – Website des Kunstmaklers Fine Art Invest Group AG, Schweiz – Zugriff am 15.05.2025
- „The contemporary art market has performed extremely well over the last 40 years, outperforming the S&P 500 Index by 240% since 1986. Over the years it has ridden out bumps in the stock market and shown that it doesn’t follow the movements of other types of assets.“ [2] Website des Kunstfonds-Anbieters Mintus, Großbritannien – Website, Zugriff am 15.05.2025
- „Kunst als Kapitalanlage: Kunst schlägt Kurse. […] Der globale Kunstmarkt hat sich über Jahrzehnte hinweg als stabil erwiesen und ist weniger anfällig für wirtschaftliche Krisen.“ – Website der Honorarberatung Wikifinia, Österreich – Zugriff am 15.05.2025
- „Kunst hat sich als Wertanlage bewährt. Kaum eine andere Art der Investition hat es langfristig geschafft, Kapital so nachhaltig zu vervielfachen.“ – Website des Kunstmaklers Kunsthaus Artes, Berlin – Zugriff am 14.05.2025
- „Kunst boomt – und das nicht nur im oberen Preissegment. Auch bei Werken unter 20.000 Euro lassen sich hervorragende Renditen erzielen.'“ – Marketing-Publikation des Kunstmesse-Betreibers ArtMuc (München)
- „Art remains a top-performing asset, even in times of financial market volatility.“ [3] – Marketing-Email des britischen Kunstmaklers Maddox vom 16.5.2025 an einen der Autoren
In den vertriebsbezogenen Publikationen solcher Firmen zur vermeintlichen Attraktivität von Kunst als Investment werden insbesondere die folgenden Argumente angeführt:
(a) Kunstinvestments produzieren attraktive Renditen, die die Langfristrenditen von Aktien übersteigen.
(b) Kunstinvestments haben eine hohe Wertstabilität. Ihre Rendite schwankt weniger als die des Aktienmarktes. Kunstpreise sind während einiger schwerer Einbrüche des globalen Aktienmarktes in den vergangenen 25 Jahren oftmals nicht gefallen oder sogar gestiegen.
(c) Kunst weist eine niedrige Korrelation mit dem Aktienmarkt und anderen etablierten Anlageklassen auf. Daher funktioniert Kunst gut als Diversifizierer für Aktien und Anleihen.
(f) Zwar ist Kunst – ähnlich wie Immobilien – eine sehr illiquide Anlageform, aber gerade diese Illiquidität ist als Illiquiditätsprämie ursächlich für die guten Renditen von Kunst.
(d) Kunst hat (in Deutschland) Steuervorteile.
(e) Kunst liefert eine „emotionale Dividende“, die traditionelle Investments nicht bieten.
So betrachtet muss man den Eindruck gewinnen, ein Privatanleger, der in seinem Vermögensportfolio auf Kunst – zumindest im Umfang einer begrenzten Beimischung – verzichtet, sei ein Dummkopf.
Die Realität von Kunst aus Investmentsicht
Leider sehen die Fakten weniger rosig aus, jedenfalls, wenn man unter Fakten die Mehrheitsmeinung in der Wissenschaft zu Rendite und Risiko der Anlageklasse Kunst und eine korrekte Analyse des vorhandenen historischen Renditedatenmaterials versteht.
Beginnen wir mit der Wissenschaft.
Im Vergleich zu den Anlageklassen Aktien, Anleihen, Edelmetalle und Rohstoffe (und Finanzprodukten, die auf diesen Anlageklassen aufsetzen) existieren nur wenig wissenschaftliche Untersuchungen zur langfristigen Rendite-Risiko-Kombination von Kunst. Die Hauptursachen sind ein Mangel an verlässlichen historischen Renditedaten zu Kunst, hohe methodische Hürden bei der Konstruktion von Kunstindizes und die mikroskopische volkswirtschaftliche Bedeutung von Kunst in der Vermögensbildung von Privathaushalten und institutionellen Investoren.
Aus Platzgründen werden wir die Ursachen für den Mangel an aussagekräftigen High Quality-Datenserien zur langfristigen Rendite der Anlageklasse Kunst hier nicht weiter ausführen. Dieser Mangel hindert allerdings viele Kunstmakler und Anbieter von Kunstinvestments nicht daran in ihrem Marketingmaterial fragwürdig hohe Renditezahlen zu Kunst und historische Renditevergleiche zwischen Kunst und Aktien zu publizieren, in denen die Aktienrenditen „merkwürdig“ niedrig sind. Ein konkretes Beispiel schildern wir weiter unten.
Trotz des erwähnten Mangels an Qualitätsdaten zu den langfristigen Renditen der Anlageklasse Kunst hat eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten nützliche empirische Studien zu Rendite und Risiko von Kunst publiziert – am häufigsten zu Gemäldekunst. Der Konsens in diesen wissenschaftlichen Analysen ist recht klar und er sieht folgendermaßen aus:
Am Ende dieses Blog-Beitrages listen wir elf wissenschaftliche Artikel auf, die auf empirischen Analysen der historischen Rendite von bildender Kunst basieren. Nur ein einziger unter den elf (Levy/Nicolas 2024) berichtet von einer attraktiven Rendite-Risiko-Kombination im Gemäldesektor. Bei allen elf Artikeln haben wir die Quelle verlinkt, so dass unsere Leser bequem die Zusammenfassungen (Abstracts) oder den ganzen Aufsatz lesen können, wenn sie sich selbst überzeugen wollen.
Besonders lesenswert ist der Aufsatz von Li/Ma/Renneboog (2022). Diese Wissenschaftler errechnen eine inflationsbereinigte Rendite von Gemäldekunst über die 58 Jahre von 1959 bis 2016 von 1,22% p.a. (in USD) – ohne Kosten und Steuern. Dem steht die reale Rendite des S&P 500 Index von 6,70% p.a. in diesem Zeitraum gegenüber.
Damit sind wir beim ersten Zwischenfazit: Aus der Sicht von Wissenschaft stellt Gemäldekunst insbesondere nach Berücksichtigung ihrer weiter unten bezifferten exorbitanten Nebenkosten des Investierens bestenfalls eine mittelmäßig attraktive Anlagekasse dar und auch nur dann, wenn der Investor in eine hinreichend große Stichprobe von Gemälden im gehobenen Preissegment investieren kann.
Kunstrenditen, wenn man genauer hinsieht
Doch diese einfache Feststellung ist nicht differenziert genug. Es lohnt, ein wenig tiefer zu bohren.
Wie gehen manche Kunstmakler und andere Kunstdienstleister vor, die mit der – wie wir zeigen werden – falschen Vorstellung „Gemäldekunst ist ein strukturell interessantes Investment “ Kunden gewinnen wollen? Wir geben die Antwort anhand einer kleinen Fallstudie.
Der britische Kunstmakler Maddox publiziert auf seiner Website einen 43-seitigen „Contemporary Art Investment Guide“ im PDF-Format, dessen aktuelle Ausgabe wir am 15. Mai 2025 herunterluden. Das Dokument soll seinen Lesern mit vielen Zahlen und Daten zeigen, dass vermögende Privatanleger und institutionelle Anleger überall auf der Welt Gemäldekunst zunehmend als attraktive Anlageklasse entdecken und dass Kunstinvestments finanziell sehr attraktiv seien. Auf Seite 18 der von uns heruntergeladenen Ausgabe des Guides findet sich die in Abbildung 1 gezeigte Renditegrafik.
Abbildung 1: Renditevergleich eines Gemälde-Index mit zwei Aktien-Indizes für den Zeitraum 2000 bis 2024 (25 Jahre) – Kunstmakler Maddox
► Quelle: „Maddox Contemporary Art Investment Guide“, Download von www.maddoxgallery.com am 15.05.2025. ► Der „Artnet Contemporary Art Index“ bildet gemäß Artnet-Website die Preisrendite der „top 50 contemporary artists“ aus dem Bereich „bildende Kunst“ ab. ► Ohne Kosten und Steuern.
Auf den ersten Blick müsste ein Privatanleger das, was diese Grafik anzeigt, im höchsten Maße erstaunlich finden: Zeitgenössische Gemäldekunst hat in den zurückliegenden 24 Jahren (Ende 2000 bis Ende 2024) den amerikanischen und britischen Aktienmarkt um Größenordnungen outperformt.
Weil wir diese Vorstellung auf den ersten Blick erstaunlich fanden, haben wir die Renditedaten in der Grafik für den S&P-Index und den FTSE-100-Index nachgeprüft und vergleichen sie in Tabelle 1 mit den Renditedaten, die sich aus der Maddox-Grafik in Abbildung 1 ableiten lassen.
Tabelle 1: Vergleichende Überprüfung der im Maddox Art Investment Guide angegebenen Aktienrenditen (siehe Abbildung 1)
► Daten in Spalte B gemäß „Maddox Contemporary Art Investment Guide“ (siehe Angaben zu Abbildung 1). ► Quelle für Daten in Spalte C: Dimensional Fund Advisors. ► Ohne Kosten und Steuern.
Der Maddox Investment Guide macht keine Angaben zur Währung, in der die Renditedaten in Abbildung 1 berechnet sind, da aber Maddox ein britischer Kunstmakler ist und da der Artnet Contemporary Art Index laut Artnet-Website originär in GBP berechnet wird, gehen wir davon aus, dass alle Daten in Abbildung 1 mit Ausnahme der Inflationsrate (CPI) in britischem Pfund denominiert sind. Wären die Renditedaten in USD, würde das das grundsätzliche Bild jedoch nicht wesentlich ändern. (Die CPI-Daten können sich ihrer Höhe nach und der in der Grafik angegebenen Quelle nach – US Bureau of Labour Statistics – nur auf die USA beziehen.)
Folgende Schlussfolgerungen lassen sich ziehen:
- Der Maddox Investment Guide nennt für Aktien um 3,5 Prozentpunkte zu niedrige Renditen. Unser erster Verdacht für diesen seltsamen Umstand war, dass Maddox für den S&P 500 und den FTSE 100 irrtümlich oder absichtlich reine Kursindizes (Indizes exklusive Dividenden) verwendete, aber selbst dafür sind die Maddox-Zahlen noch zu gering.
- Die Maddox-Abbildung beginnt im Jahr 2000 und zeigt die 25 Jahre bis Ende 2024. Die Wahl des Startjahres erscheint auffällig, da die Artnet-Indizes bis 1978 zurückreichen. Vermutlich ist die Wahl des Startjahrs kein reiner Zufall, denn die Jahre 2001 und 2002 waren für den amerikanischen und britischen (wie auch für den globalen) Aktienmarkt aufgrund des Platzens der Dotcom-Blase zwei Desasterjahre. Hätte man in der Grafik den maximalen Zeitraum seit 1978 (46 Jahre) oder beispielsweise die letzten 30 Jahre, 20 Jahre oder 10 Jahre gewählt, wären die durchschnittlichen Aktienrenditen jeweils deutlich höher gewesen.
- Die Maddox-Daten enthalten keine Kosten – weder Kosten für Kauf/Verkauf noch laufende Kosten. Die durchschnittlichen Transaktionskosten beim Verkauf eines Gemäldes über einen Makler oder ein Auktionshaus liegen im Bereich von 15% bis 25% und sind zumeist vom Verkäufer zu bezahlen. [4] Die laufenden Kosten (Versicherung, Transport, Instandhaltung) für wertvolle Gemäldekunst bewegen sich gemäß Literatur in der Nähe von durchschnittlich 1,5% p.a. Hingegen liegen die Transaktionskosten bei Aktien nahe null, die laufenden Kosten bei nur ca. 0,15% p.a. im Falle von konventionellen Aktien-ETFs und noch niedriger im Falle von Einzelaktien. Ergo: Würde man in Tabelle 1 für Kunst und Aktien die jeweiligen Kostenbelastungen berücksichtigen, fiele die annualisierte Rendite von Kunst um etwa 2,5 Prozentpunkte, die von Aktien in Spalte C lediglich um 0,15 Prozentpunkte.
Schräge, nicht nachvollziehbar hohe Renditeangaben für Kunst und zu niedrige Vergleichsrenditen für Aktien sind uns bei der Recherche für diesen Blog-Beitrag auf einer Reihe von Web-Seiten von Kunstmaklern und in deren Marketing-Material aufgefallen – siehe beispielhaft die ersten drei Zitate am Beginn dieses Blog-Beitrags.
Wer das Thema „Renditen von Kunst“ im Internet googelt, wird in den Publikationen von Kunstmaklern auf viele „kuriose“ Berechnungen und Zahlen stoßen. (Eine zu Abbildung 1 sehr ähnliche Renditegrafik mit ebenfalls seltsam niedrigen Aktienmarktrenditen gibt es z. B. auf der Website des britischen Kunstdaten-Informationsdienstes Artprice – Link hier.)
Weitere Ernüchterungsfaktoren beim Investieren in Kunst
Aber damit endet die Ernüchterung zu den im Vergleich mit Aktien vermeintlich attraktiven Renditen von Gemäldekunst noch nicht. Unabhängig von der reinen Renditefrage wirft das praktische Umsetzen von Investieren in Kunst noch eine Vielzahl anderer Hürden auf, die im Marketing-Material der Kunstmakler nicht erwähnt werden.
(1) Zunächst einmal kann man in einen Kunstindex, anders als in einen Index auf Aktien, Anleihen, Edelmetalle, Kryptoanlagen oder Rohstoffe, nicht investieren. Das ist insofern von Bedeutung als das das durchschnittliche einzelne Kunstwerk eine dramatisch höhere Wertschwankungsvolatilität aufweist als ein Kunstindex, der über Hunderte von Künstlern und Tausende von Kunstwerken hinweg diversifiziert ist. Wer von einem Kunstindex auf die wahrscheinliche Preisvolatilität seines einzelnen Kunstwerks schließt, begeht damit einen schweren Irrtum. Dass 95% aller Kunstanleger schon allein aus finanziellen Gründen nicht in der Lage sind, ein breit diversifiziertes Kunstportfolio zu finanzieren, muss nicht betont werden.
(2) Kein Kunstindex bildet den zugrundeliegenden Markt wirklich repräsentativ und damit objektiv ab, da alle Indizes schwer an „Selection Bias“-Problemen leiden. Beispielsweise berücksichtigen die meisten Kunstindizes nur Auktionsverkäufe, nicht jedoch private Verkäufe über Makler oder maklerlose Transaktionen zwischen zwei Anlegern. Auktionsverkäufe machen außerhalb der „Superstar-Kunst“ nur eine Minderheit aller Transaktionen aus. [5] Ein weiterer verzerrender Bias ist, dass teure Kunst relativ zu ihrer tatsächlichen Bedeutung und Häufigkeit im Markt in wohl allen Kunstindizes stark überrepräsentiert ist. Drittens können wir recht sicher davon ausgehen, dass im Wert gestiegene Kunstwerke statistisch häufiger gekauft/verkauft werden als im Wert stagnierende oder fallende Kunstwerke. Auch dieses Phänomen verzerrt die Indexrendite nach oben, denn Indizes reflektieren konstruktionsbedingt nur die Preisentwicklung von Kunstwerken, die im Betrachtungszeitraum getradet wurde. Die Investment Bank Morgan Stanley schreibt dazu „Most art indices don’t include work that fails to sell.“ (À propos „most art indices …“ uns ist kein Kunstindex bekannt, der Preisdaten für nicht getradete Kunst enthält.) Vergleichbare Probleme existieren bei Kapitalmarktindizes nicht.
(3) Innerhalb der Gemäldekunst war zeitgenössische Kunst in den letzten rund 25 Jahren rentabler als Kunst früherer Epochen, z. B. Mittelalter, Renaissance, 17. Jahrhundert, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Kunst der Moderne von 1900 bis 1950 und Kunst andere Epochen- oder Stilrichtungsdefinitionen. Das konnte aber vor 25 Jahren niemand wissen. Welcher Typus von Gemäldekunst in den nächsten 25 Jahren die besten Renditen haben wird, lässt sich vermutlich nicht aus der Vergangenheit ableiten. Wer Kunstrenditen darstellt und nur Indizes für „zeitgenössische Gemäldekunst“ zeigt (Kunst, die in den letzten 30 bis 50 Jahren entstanden ist), ohne Hinweis auf die deutlich schlechteren Renditen anderer Epochen und Stilrichtungen, handelt unlauter und praktiziert den Look Back Bias für manipulative Zwecke.
(4) Fast alle bekannten Kunstindizes werden von Kunstmaklern oder Auktionshäusern erstellt und betrieben, also von offensichtlich interessenkonfliktbehafteten Parteien. Einige Indizes schließen sogar von den jeweiligen Künstlern selbst an den Indexersteller kommunizierten Preise mit ein. In Bezug auf die Vertrauenswürdigkeit dieser Daten ist das keine gute Ausgangsvoraussetzung.
(5) Ein individuelles Kunstwerk ist in der Regel hochgradig illiquide, typischerweise noch illiquider als eine Wohnimmobilie. Deswegen wird es ohne merklichen Preisnachlass selten kurzfristig zum geschätzten „Marktpreis“ veräußerbar sein.
(6) Wer wirtschaftlich erfolgreich in Kunst investieren will, muss spezifischen Kunstsachverstand haben, um die Angemessenheit von Angebotspreisen beurteilen zu können, um Manipulationen bei der so genannten „Provenance“ [6] zu erkennen und um Verdachtsmerkmale auf Fälschungen, gestohlene Kunst oder Kunst, die zu Geldwäschezwecken gehandelt wird, nicht zu übersehen. Derartige Probleme und Risiken existieren bei börsennotierten Kapitalmarktanlagen kaum oder gar nicht.
Ein intransparenter Markt ohne Aufsichtsbehörde
Kunst ist ein unregulierter Markt. Deswegen und weil er aufgrund seiner ganz eigenen Merkmale hochgradig intransparent ist, kann in diesem Markt jeder alles behaupten und publizieren und genau das geschieht auch. Nicht nur ist der Kunstmarkt unreguliert, er ist auch sehr klein. Das globale Transaktionsvolumen im Kunstmarkt beträgt nur etwa 70 Mrd. Dollar pro Jahr. Das sind kümmerliche 0,06% des Transaktionsvolumens des globalen Aktienmarktes (sogar exklusive der Märkte für Anleihen, Devisen, Rohstoffe, Edelmetalle, Derivate). Amazon allein setzt jährlich rund zehnmal so viel um wie der gesamte globale Kunstmarkt zusammen. Die winzige Größe des Kunstmarktes hängt auch damit zusammen, dass geschätzt über 95% aller High-End-Kunst in Museen, Kirchen und anderen öffentlichen Einrichtungen liegt und daher so gut wie nie auf dem Kunstmarkt gehandelt wird. Je kleiner und enger ein Markt ist, desto manipulationsanfälliger ist er.
Wer sich näher mit der finanziellen Seite des Kunstmarktes beschäftigt, wird bald nachvollziehen können, was innerhalb der Kunstszene nach unserer Einschätzung eine Art Konsens ist: „High-end art is one of the most manipulated markets in the world“ (Schrager 2013). Im Anhang dieses Blog-Beitrags nennen wir einige YouTube-Videos, die einen ersten Eindruck von dieser „problematischen Seite“ des Kunstmarktes geben.
Zum Schluss wollen wir die erfreulich nüchterne und ehrliche Aussage einer Berliner Kunstmaklerin in einem Interview im Spiegel aus dem Jahr 2023 zitieren (Müller/Späth 2023):
Spiegel-Magazin: „Auch wenn es Ihnen widerstrebt, darüber zu sprechen: Wo liegt denn die langfristige Rendite bei Kunst im Schnitt?“
Diandra Donecker [Kunstmaklerin]: „Wenn Sie unbedingt wollen: Auf 20 Jahre betrachtet [kumulativ, GK] wahrscheinlich nur im einstelligen Bereich. Der Wert der meisten Kunstwerke verändert sich in diesem Zeitraum nicht.“
Fazit
Aus einer rein finanziellen Sicht repräsentiert Gemäldekunst für normale Privathaushalte ein unattraktives Bündel von Investmenteigenschaften: (a) Die statistischen Renditen von Kunst sind – insbesondere nach Kosten – zu niedrig, (b) die Liquidität von Kunstinvestments ist gering, (c) das Wertschwankungsrisiko des durchschnittlichen einzelnen Gemäldes ist sehr hoch (nicht nur, aber vor allem, weil Diversifikation innerhalb eines Kunstportfolios für normal vermögende Haushalte nicht realistisch erzielbar ist). Hinzu kommen noch einige „Kunstspezialrisiken“, wie wie etwa das „Provenance-Problem“ und das Risiko, Fälschungen, gestohlener Kunst oder Geldwäsche-verseuchter Kunst aufzusitzen.
Kunstindizes als Indikatoren von Rendite und Risiko der Anlagekasse Kunst sind wahrscheinlich verzerrt und generell weniger verlässlich als Indizes im Kapital- oder Immobilienmarkt. Kunstmaklern scheint eine Tendenz eigen zu sein, beim Renditevergleich von Kunstindizes und Aktienindizes „Kreativität“ einzuführen.
Wer nennenswerte Geldsummen für Kunst ausgibt oder ausgeben will, sollte das
in erster Linie aus reinem Kunstgenuss, aus intrinsischer Motivation tun, nicht in der wohl wenig verlässlichen Hoffnung, mit diesen Ausgaben eine nachhaltig attraktive Rendite-Risikokombination zu erzielen.
Endnoten
[1] Im vorliegenden Blog-Beitrag über Kunst geht es ausschließlich um Kunst unter Renditegesichtspunkten. Nicht-finanzielle Aspekte von Kunst, die selbstverständlich genauso wichtig oder wichtiger sind, werden aus Platzgründen nicht behandelt.
[2] Der Markt für zeitgenössische Kunst hat sich in den letzten 40 Jahren sehr gut entwickelt und den S&P 500 Index seit 1986 um 240 % übertroffen. Im Laufe der Jahre hat er Schwankungen des Aktienmarktes überstanden und gezeigt, dass er nicht den Bewegungen anderer Arten von Vermögenswerten folgt.
[3] Kunst bleibt eine der ertragreichsten Anlageklassen – selbst in Zeiten schwankender Finanzmärkte.
[4] Für sehr wertvolle Gemälde oberhalb von 200.000 bis 500.000 Euro können die prozentualen Transaktionskosten niedriger sein.
[5] Spezifische Ausprägungen von Selection Bias sind Look Back Bias, auch Hindsight Bias genannt, und Survivorship Bias.
[6] Die „Provenance“ (ein Fachausdruck im Kunst-Jargon) ist, sozusagen der Lebenslauf eines Kunstwerks, also die chronologische Liste aller historischen Vorbesitzer und Transaktionspreise, sowie die schriftlichen Nachweise, die diese Chronologie und Preisabfolge belegen.
Literatur
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Dimson, Elroy/Christophe Spaenjers (2014): „Investing in emotional assets“; In: Financial Analysts Journal; 1 March 2014; Volume 70, Issue 2; Internet-Fundstelle hier
Dimson, Elroy/Kuntara Pukthuanthong/Blair Vorsatz (2023): „Convenience Yields of Collectibles“; November 1, 2023; Social Sciences Research Network SSRN; Internet-Fundstelle hier
Dimson, Elroy/Paul Marsh/Mike Staunton, Mike (2018): „Credit Suisse Investment Returns Yearbook 2018“ – Langfassung; Credit Suisse Research Institute
Korteweg, Arthur u. a. (2016): „Does It Pay to Invest in Art? A Selection-Corrected Returns Perspective“; in: Review of Financial Studies, Band 29; Nr. 4; 2016; Internet-Fundstelle hier
Leonova, Liudmila/Anna Vodopyanova (2016): „Empirical analysis of investments on the fine art market“; 03 Dec. 2016; Social Sciences Research Network SSRN;Internet-Fundstelle hier
Levy, Simon/Maxime Nicolas (2024): „Modern Portfolio Diversification with Arte-Blue Chip Index“; 1 Nov 2024; Social Sciences Research Network SSRN; Internet-Fundstelle hier
Li, Yuexin /Marshall Xiaoyin Ma/Luc Renneboog (2022): „Pricing Art and the Art of Pricing: On Returns and Risk in Art Auction Markets“; In: European Financial Management; Volume 28, Issue5; Nov. 2022; Internet-Fundstelle hier
Mei, Jiangping/Michael Moses (2002): „Art as an Investment and the Underperformance of Masterpieces“; In: The American Economic Review; Vol. 92, No. 5, Dec. 2002; Internet-Fundstelle hier
Renneboog, Luc/Christophe Spaenjers (2013): „Buying Beauty: On Prices and Returns in the Art Market“; In: Management Science, Vol. 59, No. 1, 2013; Internet-Fundstelle hier
Ulibarri, Carlos (2009): „Perpetual options: revisiting historical returns on paintings“; In: Journal of Cultural Economics; Vol. 33, No. 2; 2009; Internet-Fundstelle hier
Medien-Artikel
Müller, Martin/Sebastian Späth (2023): „Wenn jemand sein Geld mit einer Tabledance-Bar verdient, geht mich das nichts an“; Interview mit der Auktionshaus-Chefin Donecker im Spiegel; Der Spiegel Heft 8/2023; Internet-Fundstelle hier
Schrager, Allison (2013): „High-end art is one of the most manipulated markets in the world“; Quartz Magazine; July 11, 2013; Internet-Fundstelle hier
Eine Auswahl kritischer Videos zum Kunstmarkt
Alle folgenden Videos sind in englischer Sprache.
„The Art Market is a Scam (And Rich People Run It)“ – YouTube-Video, Link hier
„You Won’t Make Money From Buying Art, But Rich People Can And Do“ – YouTube-Video, Link hier
„Adam Ruins Everything – How the Fine Art Market is a Scam“ – YouTube-Video, Link hier
„Is the Art Market Tanking?“ – YouTube-Video, Link hier
„[Die US-Firma] ‚Masterworks‘: A Terrible Investment“ – YouTube-Video, Link hier
„Washing dirty moey with fine art – Inside the art market’s dark sescrets“ – YouTube-Video, Link hier
„The Cunning Genius Who Fooled The Art World“ – YouTube-Video, Link hier