Von Gerd Kommer und Markus Moser
Wenn jemand beginnt, sich mit dem Thema Geldanlage und Vermögensaufbau zu beschäftigen und noch keine Vorkenntnisse hat, wird er oder sie mit einem kuriosen Phänomen konfrontiert werden: Zahllose Finanzexperten in den traditionellen und in den sozialen Medien, die in ihren Veröffentlichungen behaupten, erfolgreiches Investieren sei „einfach“, „kinderleicht“, könne schnell erlernt werden und/oder erfordere nur geringen laufenden Zeitaufwand.
Das ist deswegen merkwürdig, weil wir ja alle wissen, dass aus eigener Kraft reich zu werden, nur einer kleinen Minderheit gelingt – jedenfalls, wenn man die „Reichtumsschwelle“ nicht absurd niedrig ansetzt.
Hier ein Dutzend Beispiele für Veröffentlichungen aus dem Finanzbuchmarkt, aus Zeitungen und aus dem Internet, in denen Buchautoren, Journalisten und Finfluencer postulieren, erfolgreiches Investieren in Kapitalmarktanlagen oder Immobilien sei einfach, erfordere wenig Arbeit und nur wenig Zeitaufwand:
- „Aktien kann jeder: Vermögensaufbau leicht gemacht!“ (Titel eines Finanzratgeberbuches)
- „Die Wahrheit ist, dass du in nur 10 Minuten pro Jahr bessere Ergebnisse erzielen kannst als die meisten Fondsmanager“ (LinkedIn-Post)
- „Geldanlage war noch nie so einfach wie heute: Erfolgreich an der Börse investieren“ (Titel eines Finanzratgeberbuches)
- „Aktien, ETFs oder doch Gold? So schaffen Sie es in 90 Minuten zum perfekten Depot“ (Artikelüberschrift in einer großen Tageszeitung)
- „Ich zeige Ihnen, wie Sie sich ein Vermögen aufbauen können durch Immobilien in den besten Lagen Deutschlands – ohne selbst etwas dafür tun zu müssen“ (LinkedIn-Post)
- „Alles über ETFs in nur 15 Minuten: Index, Sparplan, Steuern“ (Titel eines YouTube-Video einer Verbraucherschutzorganisation)
- „Kinderleicht investieren in Bitcoin und Ethereum“ (Titel eines Finanzratgeberbuches)
- „Jeder kann easy Millionär werden“ (Instagram-Reel eines Finfluencers)
- „Indexfonds gelten als idiotensichere Form der Geldanlage“ (Untertitel eines Artikels zu ETFs in einer Wirtschaftszeitung)
- „Auch Sie haben das Zeug zum Börsengenie! Außergewöhnliche Strategien für außergewöhnliche Gewinne“ (Titel eines Finanzratgeberbuchs)
- „Reich mit ETFs: Wie Sie als Börseneinsteiger ohne Vorkenntnisse mit wenig Kapital zu Reichtum gelangen“ (Titel eines Finanzratgeberbuches)
Kontrastieren wir das nun mit den Aussagen zum Schwierigkeitsgrad von erfolgreichem Investieren von seriösen Fachleuten, die selbst reich geworden sind und/oder große Vermögen verwalten:
- „Investing is not supposed to be easy. Anyone who finds it easy is stupid.“ [1] – Charlie Munger (1924 – 2023), Milliardär, Vorstandsmitglied von Berkshire Hathaway Inc. (das Warren Buffett-Unternehmen)
- „Investing ist hard.“ – Ted Lamade, Geschäftsführer bei The Carnegie Institution for Science (eine große gemeinnützige naturwissenschaftliche Forschungseinrichtung in den USA)
- „Having emailed and spoken to thousands of investors over the years, I have come to the conclusion that only a tiny minority will ever succeed in managing their money well.“ [2] – William Bernstein, Vermögensverwalter, Finanzbuchautor, Finanzwissenschaftler
- „It has never been harder to be a disciplined independent investor.“ – Jason Zweig, Finanzjournalist beim Wallstreet Journal, Investmentbuchautor
- „Sucessful investing is simple but not easy.“ – Ben Felix, Finfluencer und Chief Investment Officer beim kanadischen Vermögensverwalter PWL Capital
- „Unfortunately, investing is not a simple task and without a grasp of the fundamentals, many investors wind up making costly mistakes.“ [3] – Harold Evensky, Finanzwissenschaftler, Vermögensverwalter und Investmentbuchautor in den USA
- „Investing is simple but not easy.“ – Warren Buffett, Milliardär, Unternehmer, Investor
Wenn erfolgreiches Investieren einfach zu lernen und/oder einfach zu praktizieren wäre und wenn es wenig Mühe und Zeitaufwand erforderte, dann müsste es ganz offensichtlich mehr reiche und superreiche Menschen auf diesem Planeten geben. Alle oder fast alle wirtschaftlichen Probleme, die unsere Welt heute hat, wären längst gelöst.
Schon allein deswegen sind Aussagen wie die eingangs zitierten Publikationstitel nicht nur ganz einfach falsch, sie sind auch eine Beleidigung des Intellekts aller Menschen, die mit ihren jeweiligen Möglichkeiten ernsthaft versucht haben, vermögend oder reich zu werden und an diesem Unterfangen gescheitert sind.
Dass so viele angebliche Experten in immer neuen Formulierungen und Publikationsformaten den Nonsens verbreiten, Anlegen, Vermögensaufbau und Reichwerden seien einfach und im Grunde für jedermann in überschaubarer Zeit machbar, lässt sich jedoch leicht erklären. Die Nonsens-Verbreiter haben vier Motive.
Motiv 1 für das Verbreiten des „Investieren-ist-einfach“-Nonsens
Das erste Motiv, der erste Grund ist Clickbaiting. [4] Mit krassen, überzogenen Aussagen in Überschriften und Titeln von Zeitungsartikeln, Blogs, Finanzbüchern, YouTube-Videos und Insta-Reels, lassen sich Auflage, Klicks, Views und Downloads in die Höhe treiben, auch wenn die verwendeten Überschriften und Aussagen fachlich falsch, übertrieben, irreführend oder gar rund heraus gelogen sind.
Clickbaiting im Finanzbereich ist eine spezifische Variante von „Investmentpornographie“. Investmentpornographie sind Aussagen in den Medien, im Internet und im Marketing von Finanzdienstleistern, die suggerieren, es sei für mehr oder weniger jeden möglich, mit geringem Risiko und/oder geringem Arbeitsaufwand systematisch hohe Renditen zu erzielen.
Finanzpornographie appelliert gezielt an einige unschöne Eigenschaften in uns allen: Gier, FOMO (fear of missing out), Neid, Ungeduld, Naivität, Unwissenheit, Selbstüberschätzung und Faulheit.
Neben Clickbaiting existieren noch drei subtilere, nicht ganz so schäbige Motive für den „Investieren-ist-einfach“-Schmarrn in den traditionellen und in den sozialen Medien.
Motiv 2 für das Verbreiten des „Investieren-ist-einfach“-Nonsens
Hier handelt es sich um den Denkfehler, dass ein Prozess oder sagen wir ein „Spiel“ mit einfacher Grundstruktur und einfachen Regeln deswegen leicht zum Erfolg zu führen sein müsse. Ein Trugschluss, der sich am 1.500 Jahre alten Brettspiel Schach illustrieren lässt. Schach ist in Bezug auf seine Regeln ein banales Spiel – einfacher als z. B. Skat, Schafkopf oder Poker. Ein normal intelligenter Erwachsener kann alle Schachregeln vollständig in 20 Minuten oder schneller erlernen und sofort mehr oder weniger fehlerfrei umsetzen.
Heißt das, Erfolg beim Schachspielen sei einfach? Natürlich nicht. Obwohl Schach eine simple Grundstruktur und Regeln hat, ist das Erzielen von kompetitivem Spielerfolg beim Schach „brutal schwer“ und zeitaufwendig. Das hängt mit dem intensiven Wettbewerb zwischen Schachspielern zusammen, sowohl Hobbyschachspielern als auch Schachprofis.
Der gleiche Zusammenhang besteht bei unzähligen anderen Spielen, Aufgaben oder Berufen. Man denke an Fußballspielen. Jedes Kind kann es, da seine Struktur und seine Regeln schnell und leicht erlernbar sind. Trotzdem gelingt es unter Millionen von Menschen mit fußballerischem Interesse nur einer mikroskopischen Minderheit, ihren Lebensunterhalt mit Fußball zu verdienen, geschweige denn, damit wohlhabend zu werden.
Motiv 3 für das Verbreiten des „Investieren-ist-einfach“-Nonsens
Ein weiterer Denkfehler, den manche Finanzjournalisten und Finfluencer in diesem Zusammenhang ausbeuten, ist noch trivialer: Unsere Neigung zu glauben, dass ein Problem, nachdem man es gelöst hat oder ein „Job“, den man nach einem wie auch immer langen und aufwendigen Lernprozess nun beherrscht, dann einfach sei. Zu diesem Phänomen existiert sogar ein lesenswertes Buch des amerikanischen Physikers und Kommunikationsforschers Duncan Watts mit dem Titel „Everything is obvious, once you know the answer“ [5] (Link). Ein kompliziertes oder schwer zu meisterndes Problem wird nicht dadurch weniger kompliziert oder leichter, dass es Menschen gibt, die den zur Meisterung notwendigen Lernprozess erfolgreich durchlaufen haben und die ihre in Wirklichkeit zeitaufwendige und anstrengende Lern- und Umsetzungsleistung danach aus einer schrägen falschen Bescheidenheit, aus Arroganz oder aus Unwissen verharmlosen. Hier wird „einfach für mich“ (nach einem typischerweise aufwendigen Lernprozess) mit „einfach für alle“ verwechselt.
Motiv 4 für das Verbreiten des „Investieren-ist-einfach“-Nonsens
Das vierte und letzte Motiv für die Investieren-ist-einfach-Lüge besteht in einem zwar alten aber immer noch wirksamen Trick, den viele Finanzjournalisten und Finfluencer in ihren Publikationen anwenden. Er geht so: Reichwerden könne ja allein schon deswegen nicht schwer sein, weil man dafür lediglich vor 20 Jahren in Berlin ein altes Mietshaus auf Kredit hätte kaufen müssen, vor zehn Jahren für 2.000 Euro Bitcoins oder vor fünf Jahren für 30.000 Euro Nvidia-Aktien. Hierbei handelt es sich um den in der Fachdisziplin Behavioral Finance schon vor Jahrzehnten identifizierten so genannten Rückschaufehler (Hindsight Bias), der aber in dieser Konstellation vom Autor der Publikation nicht aus Unwissen, sondern ganz bewusst in manipulativer Absicht begangen wird.
Fazit
Erfolgreiches Investieren ist nicht einfach. Journalisten, Buchautoren, Finfluencer und Verkäufer von Finanzdienstleistungen, die das behaupten, um ihre „Lernhilfen“ oder Finanzprodukte in größerer Zahl zu vermarkten, handeln unredlich.
Einen für die finanziellen Verhältnisse von Menschen risikoreichen und wichtigen Prozess – Investieren und Vermögensaufbau – als „einfach“, „leicht“ oder „nicht zeitaufwendig“ darzustellen, wird auch nicht durch die fadenscheinige Entschuldigung gerechtfertigt, man wolle ja nur Menschen ermutigen, endlich mit der Vermögensanlage zu beginnen.
Ebenso wenig wird das Verbreiten der „Investieren-ist-einfach“-Lüge dadurch exkulpiert, dass vermutlich viele unter ihren Verbreitern, nachdem sie selbst nach langer Zeit, manchem schmerzhaften Fehler und viel Arbeitsaufwand zu einem langfristig erfolgreichen Anleger geworden sind, keine unlauteren Absichten haben. Der Zweck heiligt in diesem Fall nicht die Mittel.
Obwohl erfolgreiches Investieren nicht einfach ist, kann es grundsätzlich jeder erlernen. Man braucht dafür keinen überdurchschnittlichen IQ und kein BWL- oder Mathestudium, sondern nur vier an sich banale Fähigkeiten: (a) Ein genuines Interesse am Thema, (b) einen gut funktionierenden Bullshit-Filter gegen die Investmentpornographie, die von Medien und der Finanzbranche tagtäglich verbreitetet wird (am besten in Verbindung mit einem sensiblen Radar für die Interessenkonflikte bei Banken, Vermögensverwaltern, Finfluencern und Finanzjournalisten), (c) ein Ausdauer-Budget, das die meisten an sich besitzen und (d) die solide verinnerlichte Einsicht, dass es beim Investieren keinen Free Lunch gibt, den risikosenkenden Nutzen von Diversifikation ausgenommen.
Erfreulich ist, dass heute – anders als noch vor 20 oder 40 Jahren – enorm viele wirklich hilfreiche Ratgeberbücher, Blogs, YouTube-Videos, Podcasts und Coaching-Seminare verfügbar sind, und das oft für wenig Geld oder sogar kostenlos. [6]
Noch erfreulicher ist, dass mit ETFs seit gut drei Jahrzehnten ein geniales Finanzprodukt existiert, mit dem normale Privatanleger zu konkurrenzlos niedrigen Kosten, in einer ebenfalls konkurrenzlos robusten rechtlichen Struktur und schon mit kleinen Beträgen breit gestreut in die beiden zentralen Anlageklassen Aktien und Anleihen investieren können, ohne jedoch einzelne Aktien oder Anleihen analysieren und laufend überwachen zu müssen.
Die fundamentalen Voraussetzungen für erfolgreichen Vermögensaufbau oder Vermögensschutz mit Kapitalmarktanlagen in breiten Bevölkerungskreisen in Eigenregie sind damit heute besser als jemals zuvor. Die gefährliche Lüge, erfolgreiches Investieren sei einfach und nicht zeitaufwendig, braucht es deswegen nicht mehr.
Endnoten
[1] „Niemand sollte erwarten, dass Investieren einfach ist. Jeder, der das erwartet, ist dumm.“
[2] „Nachdem ich im Laufe der Jahre mit Tausenden von Anlegern gemailt und gesprochen habe, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es nur einer winzigen Minderheit gelingen wird, ihr Geld gut zu verwalten.“
[3] „Leider ist Investieren keine einfache Aufgabe und ohne Wissen um die Grundsätze werden viele Anleger kostspielige Fehler machen.“
[4] „To bait“ = ködern, anlocken.
[5] „Alles ist offensichtlich, sobald man die Antwort kennt.“
[6] Wenngleich es auch hier schwierig ist, die Spreu vom Weizen zu trennen – wiederum eine der vielen Hürden für eine erfolgreiche Geldanlage.