Einstieg in den Aktien­markt: Einmal­anlage oder Phasen­investment?

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Von Gerd Kommer und Alexander Weis  

Wenn Privatanleger ein Aktieninvestment tätigen wollen, stellen sie sich oft Timing-Fragen wie die folgenden:

  • Soll ich mit meinem ganzen Anlagebetrag jetzt sofort in den Markt hineingehen?
  • Soll ich meinen Aktienmarkteinstieg nicht eher peu à peu über einen längeren Zeitraum strecken?
  • Könnte es nicht grundsätzlich besser sein, erst einmal gar nichts zu tun und zu warten?

Im vorliegenden Blog-Beitrag behandeln wir primär die ersten beiden Fragen, gehen aber auch auf die letzte ein.

Unsere Fragestellung lautet also: (a) Soforteinstieg per Einmalanlage (nachfolgend abgekürzt “SPE“), (b) Gestreckter Einstieg als “Phaseninvestment“ über 12, 24 oder 36 Monate (nachfolgend “GEP“) oder (c) erst einmal keinen bestimmten Einstiegsmodus festlegen und bis auf weiteres warten (“BAW“). Wir analysieren alle drei Alternativen aus elf verschiedenen Blickwinkeln.

 

Gesichtspunkt 1: Die Statistische Renditeerwartung

Aus der Sicht der Wissenschaft besteht kein Zweifel, dass der SPE-Ansatz in die Zukunft gerichtet eine höhere erwartete Rendite hat als der GEP-Ansatz. Diese Feststellung ist statistisch eindeutig; man könnte auch sagen schwarz-weiß. Was steckt hinter dieser Feststellung? Aktien besitzen bei normalen Bewertungsverhältnissen eine etwa siebenmal so hohe Renditeerwartung wie das „Sparbuch“, sprich die „risikofreie“ Anlage (sehr kurzfristige Staatsanleihen hoher Bonität). Zweitens haben Aktien immer eine Renditeerwartung > 0, unabhängig davon, auf welchem Bewertungsniveau sie stehen. Somit verpasst man „jeden Tag“, an dem man nicht investiert ist, Rendite bzw. Ertrag im Sinne des Erwartungswertes. Drittens sind Aktienkurse kurz- und mittelfristig (über einen Zeitraum von einem Tag bis rund fünf Jahren) nicht verlässlich genug prognostizierbar, als dass man mit Kursprognosen nach Kosten und Risiko eine zuverlässige Mehrrendite gegenüber dem Marktdurchschnitt erzielen könnte. Das gilt zu jedem Zeitpunkt; egal, ob die Kurse in den letzten sechs Monaten um 40% gefallen oder in den vergangenen fünf Jahren um 200% gestiegen sind. Die kurz- und mittelfristige Nichtprognostizierbarkeit von Aktienkursen (Jacobs/Weber 2016) ist für viele Anleger mental schwer akzeptierbar, das ändert aber nichts an den Fakten. Wenn man die jederzeit positive Renditeerwartung und die Nichtprognostizierbarkeit kombiniert, ist die logische Folgerung: SPE muss im statistischen Mittel rentabler sein als GEP. Historisch-empirischen Daten bestätigen diese Feststellung – Zahlen dazu weiter unten.

 

Gesichtspunkt 2: Empirische Renditedaten

Die oben erwähnte erwartete Rendite ist ein statistisches Konzept und genau da beginnt das Problem für die menschliche Psyche. Wir wollen das anhand einiger Zahlen erläutern und betrachten den globalen Aktienmarkt in den letzten 94,4 Jahren – soweit reichen, die für uns verfügbaren Daten zurück (Januar 1926 bis Ende Mai 2020). [1] Diese 94,4 Jahre entsprechen 1.133 Monaten. Wir stellen uns zwei Privatanleger vor: Anna und Robert. An jedem dieser 1.133 Monate investiert Anna 100.000 Euro (oder Geldeinheiten allgemein) am letzten Werktag des Monats kurz vor Börsenschluss nach dem SPE-Ansatz, während Robert aus Vorsichtsgründen seine 100.000 Euro über 36 Monate gestreckt in den Markt gibt (GEP-Ansatz). Er investiert also ein Sechsunddreißigstel (rund 2.780 Euro) am „Starttag“, an dem Anna 100.000 Euro anlegt. Genau einen Monat später legt Robert die nächsten 2.780 Euro an und so weiter, bis er 35 Monate nach dem Starttag die letzte Rate investiert hat. Wir wiederholen dieses Versuchs-Set-Up an jedem der 1.133 Monate und haben damit im Prinzip 1.133 Vergleichsfälle, für die wir Annas und Roberts Renditen über ein Zeitfenster von jeweils 36 Monate berechnen können. Am Ende der 36 Monate sind definitionsgemäß beide voll investiert und haben daher für die Folgezeit die gleichen Renditen, die uns deswegen nicht mehr interessieren. Da in den letzten 35 Monaten bis Mai 2020 keine ganzen Dreijahreszeiträume mehr vorliegen (und GEP damit nicht mehr vollständig umsetzbar ist), ignorieren wir diese Schlusszeiträume in unserer Auswertung. Damit bleiben 1.098 Vergleichsfälle (1.133 minus 35). Nun werten wir aus, wer von den Anna und Robert in den 1.098 vollständigen Dreijahreszeiträumen häufiger vorne liegt. Ergebnis: Anna gewinnt das Rennen in 73% der Fälle. Sie liegt häufiger vorne und der durchschnittliche reale Vermögensendwert nach 36 Monaten beträgt bei ihr rund 126.000 Euro gegenüber nur ca. 113.000 Euro bei Robert. Das ist im Mittel eine kumulative Mehrrendite von 11,5%. [2] Natürlich befinden sich in den 27% aller Fälle, die zu Gunsten von Robert verlaufen, auch einige wenige, bei denen Roberts Renditevorteil (genauer gesagt sein relativer Verlustvorteil) hoch ist, aber alles in allem, bleibt die Gesamtschlussfolgerung eindeutig: Der SPE-Ansatz schlägt den GEP-Ansatz deutlich.

 

Gesichtspunkt 3: Psychologische Faktoren

Nun ist es jedoch so, dass eine real existierende Privatanlegerin, nennen wir sie Juliane, keine 1.098 Versuche hat, sondern nur einen. Das Gesetz der großen Zahlen wird ihr, anders als Anna, nur begrenzt helfen. Statistisch und rational gesehen müsste Juliane zwar auch den SPE-Ansatz verfolgen. Sollte aber ihr einziger Versuch in den 27%-Topf fallen, wird sie das – wenn sie eine normale Privatanlegerin ist – vermutlich für einige Zeit grämen und reuen. Je nach persönlichem Naturell und konkretem Renditeergebnis wird sie es vielleicht sogar stark schmerzen, denn bekanntlich tun Verluste mehr weh als Gewinne guttun. Etwas abgeschwächt gilt das auch für relative Verluste, sprich geringere positive Renditen als eine subjektiv gewählte Vergleichsmarke. Weil das so ist, dürften die meisten Privatanleger, die kein stark vernunft- und datengesteuerter Homo Oeconomicus sind, im Sinne ihrer „psychologischen Rationalität“ besser mit der GEP-Methode fahren, also damit, ihren Aktienmarkteinstieg mechanisch über 12 bis 36 Monate zu strecken.

 

Gesichtspunkt 4: Abwesenheit von „Time Diversification“

Die in der Finanzbranche und den Finanzmedien oft gehörte Aussage, dass sich Renditeunterschiede für bestimmte Betrachtungsperioden umso mehr annähern, je länger die Zeitfenster sind, stimmt so nicht. Anders ausgedrückt: Auch bei sehr langen Betrachtungszeiträumen von z. B. 20 oder 30 Jahren spielt der konkrete Einstiegszeitpunkt (und Ausstiegszeitpunkt) für den Endvermögenswert eine nennenswerte Rolle. Die Renditeangleichung im Sinne des Endvermögenswertes (kumulative Rendite) findet nicht statt. So gesehen existiert keine „Zeitdiversifikation“ und auch kein „die Zeit heilt alle Wunden“. Aktienrisiko nimmt in dieser Betrachtung nicht mit der Länge des Anlagehorizontes ab und das Timing des Einstieges ist renditemäßig auch bei langen Betrachtungshorizonten bedeutsam. Das ändert jedoch rein gar nichts an der vorhin getroffenen glasklaren Feststellung, dass die SPE-Methode der GEP-Methode statistisch-empirisch überlegen ist und ein ausschließlich rational agierender Anleger sie in allen Marktsituationen über GEP präferieren würde. (Zeitdiversifikation existiert allerdings in dem Sinne, dass das „Shortfall Risk“ mit der Länge des Investmentzeitraums bei Aktien abnimmt. Shortfall Risk ist das Risiko, eine gegebene Mindestrendite nicht zu erreichen.) Außerdem müsste man hier eigentlich ergänzen, dass in der real existierenden Welt die allermeisten Privatanleger über Zeiträume von 5+ Jahren immer wieder Cash in das Portfolio hineingeben oder aus ihm entnehmen. Wo das der Fall ist, nimmt der Renditeeinfluss des erstmaligen Einstiegszeitpunktes, um den in diesem Text primär geht, in der Tat ab.

 

Gesichtspunkt 5: Der Ausstiegszeitpunkt ist genauso wichtig wie der Einstiegszeitpunkt

Viele Privatanleger hadern mit dem genauen Timing ihres Markteinstiegszeitpunkts bei Aktien, weil sie Angst haben, in den nächsten 12 bis 60 Monaten eine im Vergleich schlechte Rendite oder sogar einen Verlust einzufahren. Für die in ihrem Sorgenfokus stehende Gesamtrendite in einem bestimmten Zeitraum – seien es nun sechs Monate oder 30 Jahre – ist jedoch das Timing des Ausstiegszeitpunktes (oder, allgemeiner, des Berechnungsendpunktes) nicht einen Deut weniger wichtig. Trotzdem hat die Mehrheit der Privatanleger gar kein oder fast kein Problem damit, wann genau sie ihre Aktienanlagen veräußern, also mit dem Timing ihres Ausstiegs. Diese mentale Asymmetrie ist eines der unendlich vielen Beispiele dafür, wie irrational wir in wirtschaftlichen Dingen sein können. Im folgenden Gesichtspunkt 6 schildern wir ein weiteres solches Beispiel.

 

Gesichtspunkt 6: Konsistenz bei Investmententscheidungen

Privatanleger Oliver tätigte vor gut sechs Jahren im April 2014 ein Investment in einen MSCI-World-ETF. Die Anlage ist jetzt 100.000 Euro wert ist. In diesen gut sechs Jahren erzielte Oliver ungefähr die historisch langfristige Weltaktienmarktrendite (inflationsbereinigt rund 5,5% p. a. vor Steuern und Kosten), mit der er zufrieden ist. Vor wenigen Monaten erbte Oliver von seinem Großonkel weitere 200.000 Euro. Das Geld ist soeben auf seinem Konto eingegangen und die Erbschaftsteuer bereits gezahlt. Oliver möchte an sich sein MSCI-World-Investment um den vollen 200.000 Euro-Betrag aufstocken, hat aber Angst, in diesem Moment einen ungünstigen Zeitpunkt zu erwischen. Die weiteren Auswirkungen der aktuellen Corona-Krise auf den Aktienmarkt erscheinen ihm derzeit (Juni 2020) unklar und bedrohlich. Deswegen will er erst einmal abwarten – wie lange abwarten und bis zu welchem Ereignis, darauf will er sich nicht festlegen. Damit wird Oliver zu einem exzellenten Beispiel für eine verbreitete Form von Anlegerirrationalität, die an eine moderate Form von Schizophrenie erinnert. Würde Oliver logisch und konsistent handeln, müsste er entweder die ersten 100.000 Euro sofort aus dem Markt herausnehmen (seine ETF-Anteile verkaufen) oder aber die neuen 200.000 Euro sofort im Ganzen investieren. Oliver tut weder das eine, noch das andere. Stattdessen misst er das aus seiner Sicht bestehende Aktienrisiko für die investierten 100.000 Euro anders als für die noch nicht investierten 200.000 Euro. Irrational, inkonsistent und zugleich völlig normal, weil die Mehrheit aller Privatanleger wohl so vorgeht.

 

Gesichtspunkt 7: Market-Crash Timing

Wenn die Märkte über mehrere Jahre merklich nach oben tendiert haben, dann poppt mit der Verlässlichkeit der Turmuhr der St.-Peter-Kirche in Zürich in der Privatanleger-Community das Thema Crash Timing auf. Das ist die Vorstellung, man könne überdurchschnittliche Renditen erzielen, indem man mit einem bestimmten Geldbetrag auf einen starken Kurseinbruch wartet und erst dann in den Markt einsteigt. Mit dieser Vorstellung haben sich in den letzten Jahrzehnten viele Wissenschaftler auseinandergesetzt und fast alle kamen zum selben negativen Ergebnis: Crash Timing ist ökonomisch unattraktiv. Wir selbst haben in unserem Blog-Beitrag „Timing des Markteinstiegs – funktioniert es?“ vom März 2019 eine populäre Crash-Timing-Strategie für den Zeitraum 1970 bis 2018 simuliert. Unser Ergebnis stimmt mit dem Konsens in der Literatur überein. Einer der wichtigsten Denkfehler, den Crash-Timer begehen, ist das Übersehen der statistisch hohen Opportunitätskosten des Nicht-investiert-Seins vor dem Crash.

 

Gesichtspunkt 8: Cost-Averaging Effect

Ein mit der Fragestellung SPE versus GEP inhaltlich verwandtes und in gewisser Weise sogar identisches Thema ist der bekannte Cost-Average Effect (CAE), zu deutsch „Durchschnittskosteneffekt“. Er wird oft im Zusammenhang mit Fondssparplänen erwähnt. Diesem Effekt zufolge soll das mechanische, regelmäßige Investieren eines fixen Geldbetrages, z. B. 200 Euro pro Monat in Aktien gegenüber seiner prinzipiellen Alternative „alles sofort anlegen“ einen vorteilhaften Renditeeffekt aufweisen. Schön wär’s. Der CAE wurde schon vor über 40 Jahren und seitdem in wohl über hundert wissenschaftlichen Studien als Fata Morgana, Denk- oder Methodenfehler identifiziert (erstmalig Constantinides 1979). Wir haben vor einiger Zeit Gründe und Ausprägung des CAE-Irrtums in unserem Blog-Beitrag „Die Legende vom Cost Averaging Effect“ zusammengefasst.

 

Gesichtspunkt 9: Gefühlt ist nie der richtige Zeitpunkt

Die SPE-versus-GEP-Thematik hat bei den meisten Privatanlegern nahezu nichts damit zu tun, wie gut oder schlecht der Aktienmarkt in den davor liegenden vier Wochen, sechs Monaten oder fünf Jahren rentiert hat. Gefühlt ist immer der falsche Zeitpunkt für einen Einstieg. Wenn der Aktienmarkt in der jüngeren Vergangenheit deutlich gestiegen ist, fürchten wir uns vor einem überbewerteten, absturzgefährdeten Markt. Ist der Markt in der jüngeren Vergangenheit heftig gefallen, haben wir Angst vor dem Risiko eines noch weiter einbrechenden Marktes. (Daher das abgedroschene Börsen-Bonmot „greife nicht in ein fallendes Messer“, das der erfolgreiche Berliner Immobilieninvestor und Multimillionär Rainer Zitelmann als den „dümmsten aller Börsensprüche“ bezeichnet.) Schwappte der Markt längere Zeit ohne ganz klare Richtung stark hin und her – wie z. B. in den letzten fünf Monaten – dann glauben viele, man müsse erst warten, bis er sich wieder „beruhigt“ hat. Hört man von einem Privatanleger also die Aussage „ich möchte meinen Einstieg in den Aktienmarkt erst einmal aussetzen und noch warten – vor einem halben Jahr hätte ich diese Bedenken nicht gehabt und wäre sofort reingegangen“, dann ist das typischerweise Selbsttäuschung. Tatsächlich hat oder hätte unserer Zauderer das Einstiegsproblem immer. Egal, wie sich der Markt in der davor liegenden jüngeren Vergangenheit entwickelt. Seine wirkliche Einstiegshürde ist nicht die aktuelle Verfassung des Marktes, wie er sich vorgaukelt, sondern seine höchsteigene Psychologie. Peter Lynch, einer der ganz, ganz wenigen Fondsmanager, die über mehr als zehn Jahre eine korrekt gewählte Benchmark deutlich geschlagen haben, sagte in diesem Zusammenhang einmal: „Anleger haben mit der Vorbereitung auf oder dem Antizipieren von Marktkorrekturen viel mehr Geld verloren als in den Marktkorrekturen selbst.“

 

Gesichtspunkt 10: Warten auf bessere Zeiten

Ein Anleger, nennen wir ihn Harry, macht sich ebenfalls große Sorgen, ob der jetzige Einstiegszeitpunkt nicht besonders risikoreich sei. Harry will jedoch weder die SPE-, noch die GEP-Methode, sondern entscheidet sich stattdessen für BAW (bis auf Weiteres warten ohne zeitliche Einstiegsverpflichtung). Harry empfindet selbst einen gestreckten Einstieg (GEP) über zwölf oder 36 Monate als noch zu gewagt. Vermutlich ist die BAW-Methode diejenige, die rund 95% aller Deutschen seit jeher praktizieren. Diese Methode hat typischerweise eines von zwei Ergebnissen: Entweder steigt Harry bis zu seinem Lebensende nie ein oder er steigt als „Performance Chaser“ (Rückspiegelinvestor) ein paar Jahre später in der Nähe eines Aktienmarktgipfels ein. Von diesem an gerechnet sind die Renditen in den Jahren und Jahrzehnten danach dann wohl unterdurchschnittlich. Wer gar nie einsteigt, der wird die siebenmal so hohe Langfristrendite des Aktienmarktes gegenüber dem „Sparbuch“ für den Rest seines Lebens verpassen – wie die große Mehrheit aller Haushalte in Deutschland. Wir halten die BAW-Methode – wenn man sie überhaupt „Methode“ nennen will – für die schlechtest-mögliche Wahl überhaupt. Um ihre vermutlich armselige Durchschnittsrendite errechnen zu können, müsste man diese Nicht-Methode erst einmal genauer definieren, was wir uns hier ersparen.

 

Gesichtspunkt 11: Irrelevanz der Frage in vielen praxisrelevanten Anlagesituationen

Zum Schluss: Die Frage des Einstiegszeitpunkts stellt sich in vielen praxisrelevanten Fällen gar nicht. Die wichtigsten sind die folgenden Konstellationen: (a) Das fragliche Geld ist schon in Aktien investiert und soll nun lediglich anders („neu“) investiert werden. Hier ist der Anleger ja in Wirklichkeit bereits im Markt; insofern gibt es gar keinen Einstieg, den man timen müsste oder könnte. (b) Das fragliche Geld (oder ein relevanter Teilbetrag) soll in Anleiheninvestments fließen. Bei kurz- und mittelfristigen High-Quality-Anleihen existiert keine nennenswerte Volatilität, weswegen kurzfristiges Timing hier so oder so vergebene Liebesmüh wäre (nota bene: das trifft nicht notwendigerweise auf spekulative Low-Quality-Anleihen oder allgemein langfristige Anleihen zu). (c) Wer Cash-Liquidität auf einem Bankkonto liegen hat und dabei betragsmäßig die staatliche Einlagensicherung von 100.000 Euro pro Kunde-Bank-Kombination überschreitet, sollte als informierter, rationaler Mensch eigentlich nicht nachdenken müssen: Das Bankausfallsrisiko für den Betrag oberhalb der 100.000 Euro ist so hoch, dass das reine Timing-Risiko für den Einstieg in ein global diversifiziertes Aktienportfolio im Vergleich dazu verblasst. (d) Die fragliche Aktieninvestmentsumme ist relativ zum Gesamtvermögen des Anlegers einschließlich seines Humankapitals klein, z. B. unter 10%. Hier ist es wohl gleichgültig, was der Renditeunterschied zwischen SPE und GEP am Ende ist. Er wird die Tachonadel beim Gesamtvermögen des Anlegers sowieso kaum bewegen.

 

Fazit

Wer sich in Sachen Finanzen für einen sehr rationalen Homo Oeconomicus hält, wird einen vorhandenen Cash-Betrag zu jedem beliebigen Zeitpunkt so bald und so schnell wie möglich in einer Summe in den Aktienmarkt investieren, weil er damit die statistische Ertragserwartung maximiert.

Wer sich der großen Majorität real existierender Homo Sapiens zurechnet, die auch in Gelddingen Emotionen haben, wird in den meisten Börsensituationen mental-emotional besser damit fahren, mit einem zu investierenden Cash-Betrag gestreckt und regelbasiert in den Markt einzusteigen, z. B. über zwölf oder 24 Monate.

Gar nichts zu tun und bis zum „richtigen“ oder bis zu einem „besseren“ Einstiegszeitpunkt zu warten, dürfte zu jedem gegebenen Zeitpunkt, die schlechteste und zugleich die am meisten verbreitete Strategie sein.

 

Endnoten

[1] Wir haben bei dieser Kalkulation ein wenig gemogelt. Über diesen langen Zeitraum liegen Monatsrenditen für den globalen Aktienmarkt (also 20+ Länder) nicht durchgängig für die ersten Jahrzehnte vor. Aus Datenverfügbarkeitsgründen haben wir daher Monatsrenditen des US-Aktienmarktes für den Zeitraum 1926 bis 1969 verwendet (CRSP 1-10-Index) und für den Zeitraum von 1970 bis Ende Mai 2020 Monatsrenditen des Weltaktienmarkts (MSCI World Standard Index).

[2] Aus Vereinfachungsgründen haben wir bei GEP für den nicht investierten Portfolioteil eine reale Verzinsung von Null angenommen; also für den Teil, der erst im Laufe der 36 Monate nach und nach investiert wird und bis dahin beispielsweise als Sichteinlage auf einem Bankkonto bleibt. Tatsächlich betrug diese reale Verzinsung in den letzten rund 120 Jahren in den USA durchschnittlich 0,8% p.a., also geringfügig über Null. Unsere Vorgehensweise dürfte jedoch das dargestellte Gesamtergebnis aus zwei Gründen nicht oder nur unwesentlich beeinflussen. Erstens haben wir im Gegenzug nirgendwo Transaktionskosten berücksichtigt, die bei GEP mit 36 Einzelinvestments weit höher ausfallen würden als bei SPE. Zweitens ist heute die reale Rendite für Sichteinlagen negativ (also noch schlechter als Null). Dieser Zustand könnte noch längere Zeit anhalten.

 

Literatur

Constantinides, George (1979): „A Note on the Suboptimality of Dollar-Cost Averaging as an Investment Policy“; In: Journal of Financial and Quantitative Analysis; Vol. 14; June 1979; pp. 443–50.

Jacobs, Heiko; Weber, Martin (2016): „Random Walk Plus Drift – Was Aktienkurse wirklich sind“; Forschung für die Praxis, Band 28, 2016; Behavioral Finance Group, Universität Mannheim.

Kommer, Gerd (2017): „Die Legende vom Cost Averaging Effect“; Internet-Fundstelle: https://www.gerd-kommer-invest.de/legende-vom-cost-averaging-effect/

Kommer, Gerd; Schweizer, Jonas (2018): „Das unterschätzte Risiko von Bankguthaben“; Internet-Fundstelle: https://www.gerd-kommer-invest.de/risiko-von-bankguthaben/

Kommer, Gerd; Weis, Alexander (2019): „Timing des Markteinstiegs – funktioniert es?“; Internet-Fundstelle: https://www.gerd-kommer-invest.de/timing-des-markteinstiegs/

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